27. April 1861

Nach einer unruhigen Nacht stand ich bei Zeiten auf, da man mein Zimmer herrichten mußte. Jch hatte mir vorgenommen an Frau Werdmüller im Windegg zu schreiben, die mir viel freundliches erweist, u. doch so arm u. elend ist. Jch wurde aber sehr müde und nervös dabei, u. es wollte fast nicht gelingen. Wie froh war ich, als mein Zimmer fertig war, und ich ins Bett konnte. Herr Prof. kam gegen 12 Uhr, er war wieder verwundert über meine Schmerzen, verordnete mir Überschläge und will mir dann morgen noch etwas anderes geben. Er sagte er sei gestern fort gewesen, theilweise im Dampfschiff (am Bodensee), aber das Wetter sei so rauh gewesen, daß er unten bleiben mußte. Doch habe es ihm nichts geschadet. Bei Anlaß der Klystiere kam er dann auf seine Operationen z. reden, es sei so gut, wenn man selbst etwas so machen könne, er habe es schon mancher jungen Frau gesagt. Jm Anfang sei es ihm auch stets übel geworden, dann habe ihm aber sein Onkel mit Ohrfeigen gedroht und er habe sich überwunden. Bald habe er dann mithelfen müssen, unterbinden u. s. f. da seien dann seine Gedanken genug in Anspruch genommen worden, u. er habe darüber die Angst vergessen. Das Jammern sei ihm aber immer am Ärgsten gewesen, besonders v. Kindern; jetzt mit dem Cloroform sei es viel besser, die Patienten schrien gar nicht mehr, sondern athmen nur schwer, ja röcheln zuweilen, aber doch liegen sie ganz ruhig. Oft begehre jemand seinen Operationen zuzusehen, das begreife er ganz gut, u. erlaube es zuweilen, hingegen könne er nicht begreifen, wie man Lust habe den Sektionen seiner eignen Verwandten beizuwohnen. Er wäre nicht im Stande jemand seiner Verwandten zu sezieren, es würde ihm zu viel Mühe machen. Frau Orell im Thalhof habe er es seiner Zeit abgeschlagen, Frau Meier-Ott hingegen habe durchaus den kranken Theil ihres Bruders sehen wollen. Wir redeten noch v. Spital, v. d. Wunden, die er mir seinerzeit gezeigt, d. von verschiedenen Operationen, wie hat er doch so geschickte Hände! Dann ging er fort, u. redete noch mit Papa auf der Treppe, er hofft, es komme nach u. nach. Zum Mittagessen Fleischbrühe u. ein wenig gekochtes Reis, aber nichts ist gut, und nichts macht mir gut. Nachmittags kamen Nanny u. Elise, thaten aber sehr laut, so daß ich bald Kopfweh bekam. Jch stand zwar Abends auf, konnte aber doch kein Fleisch essen. O mein Gott wie lange!

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22./25. April 1861

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1./2. Mai 1861