Tagebuch Nr. 7

November 1857 bis August 1859

Die folgenden Inhalte sind noch provisorisch und unvollständig.

1857, den 7ten November. Von dem gestrigen herrlichen Tag in der Schipf

recht ermüdet schlief ich sehr gut, u. erwachte am Morgen mit neuem

Muth u. Eifer dem Herrn wohlgefällig zu leben. O welch ein gutes Beispiel

für mich ist die liebe Jungfer Escher u. wie freut es mich aufs Neue erfahren

zu haben daß ich ihr doch auch recht lieb bin. O mein Gott erhalte u. stärke sie

u. erhöre Du ihr Gebet, daß wir wandeln mögen nach Deinem Willen!

Am Morgen zeichnete ich das aus der Schipf mitgebrachte Röslein, ich wurde

aber oft unterbrochen u. zuletzt noch durch Felicie. Nachmittags kam Elise mit

den Kindern um Hüte zu probieren, es ging aber sehr stürmisch zu, daß es

einem fast bange wurde. Nachher machte Mama in der Stadt Com̄issionn,

ich hingegen ging nach Oberstraß zu Frau Mohler u. v. dort in d. Engenweg. Abends

war Mama gar nicht wohl, u. ging früher zu Bette, ich war ein wenig un-

geduldig, machte mir dan̄ aber rechte Vorwürfe darüber. O mein

Heiland, mache Du mich sanftmüthig u. v. Herzen demüthig!

Das erste überlieferte Tagebuch ist das Buch Nummer 7 und beginnt mit der obigen Passage. Du warst zu Besuch bei der Familie Escher vom Glas, die in Herrliberg auf dem Landgut Schipf, sowie im Felsenhof in der Stadt Zürich lebte. Hans Kaspar Escher (1775 -1859) gründete die Firma Escher-Wyss, die bis 1969, also bis in meine Lebzeit, eine wichitge Rolle im Zürcher Wirtschaftsleben spielte. Noch heute ist ein Platz in Zürich nach der Firma benannt.

Dich interessiert jedoch die Tocher von Hans Kaspar Escher, die “Jungfer Escher”, wie Du sie nennst. Sie hiess mit Vorname Mathilde (1808-1875). Obwohl sie eine Generation älter war als Du, wird sie in Deinem Leben und in Deinen Tagebüchern eine wichtige Rolle spielen. Ihr philantropisches Engagement hat dich bestimmt inspiriert. Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898), über den Du später viele Tagebuchseiten füllen wirst, beschreibt Mathilde Escher in einer wunderbar persönlichen Homage:

"Die strenge Mathilde Escher konnte sich an einem Sommerabende in der Schipf ganz gemüthlich gehen lassen. Sie besaß in hohem Grade, was der Franzose »de la bonne gaîté« nennt. Sie wußte die drolligsten Geschichten, z. B. aus ihrer Jugend. (...) Wo sie aber einmal eine Zuneigung gefaßt hatte oder eine Zuneigung zu ihr gefaßt worden war, blieb sie unverbrüchlich treu. Man hatte in ihrer Nähe das Gefühl des Stetigen, ich hätte fast gesagt des Ewigen."

Die Illustratorin und Comic-Zeichnerin Kati Rickenbach stellt sich diesen 7. November 1857 so vor:

Deine Mama ist Elisabeth Escher-Hess (1796-1867). Auf dem Foto macht Sie mit ihren schmalen Lippen eine strenge Miene - wohl auch wegen der langen Belichtungszeit bei Fotografen.

Da Du mir ihr unter einem Dach wohnst, hast Du auch fast jeden Tag über sie zu berichten. Nicht selten sorgst Du Dich um ihre Gesundheit, so auch am heutigen Tag. Doch auch Streit gab es zwischen Euch zuweilen.

Elise (1833-1918), die am Nachmittag bei Dir vorbei kommt, ist Deine jüngere Schwester. Sie hat vier Jahre vorher Caspar Schindler (1828-1902) geheiratet und wohnt mir ihm am Zeltweg in Zürich.

1855 ist ihr erstes Kind zur Welt gekommen: Elisabeth, die Du aber immer Betheli nennen wirst. Und letztes Jahr, 1856, wurde ihr Sohn Dietrich geboren, mein Urgrossvater. Beide waren bei der Hut-Anprobe mit dabei. Du wirst Elise fast täglich sehen und oft ihre Kinder hüten.

Du wohnst in den Wintermonaten mit Deinen Eltern im Kronentor am Seilergraben. Das Haus steht heute noch.