
Tagebuch Nr.11
Februrar 1863 bis Februar 1864
Im Jahr 1863 ist Pauline Escher krank, wie auch in den vorangeehenden zwei Jahren. Die Ereignisse in ihrem Leben sind dementsprechend etwas eingeschränkt. Im Folgenden werden einige Auszüge des Originaltextes von Pauline Eschers Tagebücher wiedergegeben. In einer Art Dialog über 160 Jahre hinweg kommentiert die Verfasserin dieser Webseite, Annette Schindler, die ausgewählten Tagebucheinträge und ergänzt Fotografien und Informationen zu den erwähnten Personen und Ereignissen.
22. Februar 1863 (…) Die beiden Paare v. Florhof u. Herr Oberrichters waren da, und ich servierte ihnen dann nach dem Essen Caffe. Die vielen Esswaren, die ich unterden Händen hatte machten mir gar keine Lust, hingegen aß ich dann einige geschälte Kartoffeln, die mir für Bord u. Suppe gingen. (…)
Liebe Pauline, heute würde man die Krankheit, unter der Du damals gelitten hast, vielleicht Essstörung nennen - obwohl einige der Symptome, die Du beschreibst, nicht darauf zutreffen. Nur zu oft hast Du keinen Appetit und magst nicht essen, und wenn Du isst, dann schmeckt Dir Dein Essen überhaupt nicht. Du nennst viele Gründe, weshalb Du nichts essen magst: Oftmals ist es ein “Gstürm” irgendwelcher Art, weil die Kinder kommen oder es Auseinandersetzungen gibt, oder einfach weil Du müde bist.
25. Februar 1863 (…) Es betrübte mich aber sehr als Nanny v. Frau Oberst Muralt erzählte, der arme Hr. Professor sei gar so leidend, er nehme viel Opium, u. wolle doch nicht zu Hause bleiben, so lange er irgend wie gehen könne. (…)
Nanny ist Deine zehn Jahre ältere Schwester, die oft zu Besuch kommt. Herr Professor ist zu dieser Zeit eine sehr wichtige Person in Deinem Leben. Es handelt sich um den Chirurgen Professor Heinrich Locher-Zwingli (1800-1865), Dein Arzt, der ungefähr jeden zweiten Tag auf Hausbesuch kommt und alles mögliche versucht, um Dich gesund zu machen. Auf einige seiner Behandlungsmethoden werden wir noch stossen. Herr Professors Gesundheit ist wohl bereits angeschlagen zu diesem Zeitpunkt, später werden wir mehr dazu erfahren. Das Opium, dass Herr Professor gemäss dem Zürcher Klatsch damals nahm, galt noch als Heilmittel.
Nanny scheint ihre Information von Cleophea von Muralt-Escher zu haben, der Frau von Hans Conrad von Muralt-Escher (1779-1869), dem früheren Bürgermeister des Kantons Zürich.
27. Februar 1863 (…) Herr Prof. kam gegen 4 Uhr. Er scheint doch sich nicht gar so übel zu befinden, u. war ziemlich munter. Er predigte mir wieder sehr gegen diese Besuche, u. sagte, er müsse mich eben im Zimmer irgendwohin verbergen, damit ich einmal Ruhe bekomme. Wir redeten v. Nizza wovon er durchaus nichts wissen will u. v. Bremen, v. wo Hr. Heigenman mich eingeladen hat. (…)
Nach jedem Besuch Deines Arztes schreibst Du seine Ratschläge getreulich in Dein Tagebuch. Vielleicht warst Du froh, wenn Du später zurückblättern konntest, um nicht zur vergessen, was zu tun ist für Deine Genesung. Mit Nizza und Bremen sind wohl Kuraufenthalte gemeint, die immer wieder diskutiert werden. Herr Professor leht diese jedoch ab, weil er gern möchte, dass Du zuerst Deine Ernährung besser im Griff hast, bevor Du lange Reisen unternimmst.
4. März 1863 (…) Jch habe in der Nacht stark geschwizt, u. dazu gar so erkelhaft geträumt v. einem Essen bei Hr. Prof. und einem Teller Bohnen mit Fäden, so daß ich am Morgen ganz trümmlig u. schlecht im Magen war. (…)
Sehr oft schläfst Du nachts schlecht. Schwitzen ist dabei oft ein Thema. Und schlechte Träume auch, besonders “ecklige vom Essen”. Nur selten schreibst du aber genauer, was Du geträumt hast, so wie an diesem Tag. Dass so ein Traum unangenehm ist, kann ich mir heute noch gut vorstellen.
5. März 1863 (…) Auf Sonntag gibts großes Essen, was immer der lieben Mama Freude macht, obschon es eigentlich doch sehr mühsam ist. (…)
Einladungen mit vielen Gästen gibt es in Eurem Haus oft. Meistens sind es Deine beiden Schwestern mit ihren Ehemännern, die zum Essen kommen. Aber auch sonst viele Bekannte aus Zürich. Schade, dass Dir diese Anlässe so gar keine Freude zu machen scheinen. Ob es auch mit Deiner Krankheit zusammehängt, dass Du nicht so “im Strumpf” bist und deshalb auch Gesellschaft eher eine Last für Dich ist?
6. März 1983 (…) Die Kinder lärmten u. machten mich müde, Amalia schrieb ein Billet, um wegen Maskenkleidern ein Buch z. entlehnen. Dieß betrübte mich ein wenig, Mama redete mit Nanny darüber, u. ich wurde dan böse u. hässig, so daß ich mich gar nicht mehr erholen konnte, u. einen großen Theil d. Abends ohne z. essen in m. Zimmer blieb. Obschon die liebe Mama dann später noch so nett Klavier spielte hatte ich keine Freude, u. konnte es nur nicht über mich bringen, vor Nacht noch in mich zu gehen. (…)
Die lärmenden Kinder, das sind Deine Neffen und Nichten, die wöchentlich bei Euch “parkiert” werden. An dem Tag sind es wohl Elisabeth (1855-1921) gewesen, die du Betheli nennst, mit ihren Brüdern Martin (1858-1927) und Dietrich (1856-1936), mein Urgrossvater. Auch die kleine Schwester Marie (1861-1942) ist schon auf der Welt, aber vielleicht noch zu klein für den Besuch. Den Tagebuch vertraust Du an, dass die Kinder etwas an Deinen Nerven zehren, und Du froh bist, wenn sie wieder weg sind. Später im Leben wirst Du ein Teil der grossen Schindler-Escher-Familie, und Du wirst enge Kontakt zu Deinen Neffen und Nichten pflegen. Bekannt ist, dass Du mit Dietrich Dein immer wieder in Austausch standest. Im Schindler-Bestand des Staatsarchivs sind einige Briefe und Fotografien aufbewahrt, die dies belegen.
Du musst ein bisschen ein aufbrausendes Temperament gehabt haben, wie Du nicht nur an diesem Tage Deinem Tagebuch beichtest. Die Ruhe und religiöse Andacht ist Dir wichtig im Alltag, auch wenn Du oft beklagst, dass es Dir nicht gelingt, in die richtige Stimmung dafür zu kommen.
Links Martin, Mitte Elisabeth / Betheli, rechts Dieter, Paulines Nichten und Neffen. Dass sie lärmig sein können, erstaunt nicht, doch auf diesem Bild, dass ungefährt 1863 entstanden sein könnte, sehen sie lammbrav aus.
7. März 1863. So lang ich in dieser Verfassung bin, geht es nicht mit Lesen u. Beten. Ich stand bei Zeiten auf, blieb aber den ganzen Morgen in meinem Zimmer, ohne mich um die vielen Geschäfte zu kümmern, welche Mama in der Küche hatte. Ich blieb hart u. verstockt, u. ich glaube wenn man mich geschlagen hätte, es hätte nichts geholfen! Erst als dann beim Essen Mama so traurig war, ging es mir zu Herzen, ich konnte einmal recht weinen, und das that mir wohl, u. ich konnte nachher in mich gehen u. bessere Vorsätze fassen. Die liebe Mama ging dann zu Fuß in den Engenweg, u. nachher z. Elise, wo es Martin besser geht. (…)
(Herr Prof.) glaubt mein Übelsein sei Blutandrang. Doch habe ich jezt auch wieder Pfeffer im Hals, welcher auf d. Abend immer mehr kam. Sonst ging es ordentlich. Die liebe gute Mama hat schon verziehen, u. Gott gebe mir Kraft, daß nichts mehr Äehnliches vorkommen muß. (…)
Herr Professor diagnostiziert heute bei dir Blutandrang, eine Diagnose, die man auch heute noch kennt und die von einer Entzündung her stammen kann. Eine Entzündung als mögliche Ursache Deines Leidens ist öfters Thema in Deinem Tagebuch.
11. März 1863 (…) Nachdem man (gemeint Herr Professor) dann über mich Alles besprochen, kamen wir auf d. arme Huhn, welches faßt kein Gehirn gehabt, u. von diesem auf Rückenmark, Genick u. s. f. von dem er interessant erzählte. Dann auf die Sektionen, u. bei diesem Anlasse sagte er wie oft es ihnen schon vorrgekommen, daß die vermuthete Krankheitsursache gar nicht der Grund des Todes gewesen, u. daß sie sich nur hätten ansehen müssen, u. sich eingestehen, daß hier ein Höherer regiert habe. (…)
Der Herr Professor bleibt nach seinem Untersuch oft noch etwas länger und erzählt von seiner beruflichen Erfahrung, hier von einem kranken Huhn, und vom Sezieren, von der Obduktion, die offenbar in einigen Fällen vorgenommen wurde. Nur äusserst selten vernehmen wir aber in Deinem Tagebuch, dass der Herr Professor etwas von Religion hält.
12. März 1862 (…) Ich hatte Mathilde Escher (zu Besuch), die mir viel v. ihrem (Betlaab-unleserlich) erzählte. Sie fragte dann ob sie mir nicht den Stadtmissionar schicken solle. Da ich aber meinen schwachen Kopf fürchtete sagte ich Nein, ärgerte mich dann über mich selbst, u. kam am Ende in Thränen! Abends ging es mit den Kindern leider wieder nicht gut. Sie waren sehr laut; ich müde u. leer, so daß ich nach d. Thee fortgehen, u. sie Mama überlassen mußte. (…)
Mathilde Escher (1808-1875) ist die Tochter des Escher-Wyss Gründers Hans Caspar Escher vom Glas und eine wichtige Freundin von Dir, obwohl sie eine Generation älter ist als Du. Religiös - oder wie wir heute sagen würden spirituell - orientierst Du Dich immer wieder an ihr. Sie war körperlich behindert, liess sich dadruch aber von nichts abhalten, reiste viel und gründete eine Stiftung, die noch heute existiert.
13. März 1863 (…) Später wollte ich dann noch der Köchin helfen ein Güggel aufrüsten, wurde aber böse daß sie mich ganz allein machen ließ. Unterdessen wurden dann aber die Andern im Zimmer (Stokars und Schindlers) böse über meine Abwesenheit, u. Elise machte mir dann so Vorwürfe, daß es mir ganz auf d. Magen schlug. Da ist eben doch Niemand so geduldig mit mir wie meine lieben Eltern u. mein guter Doktor. (…)
18. März 1863 (…) (Pfarrer Hirzel) wandte sich dann an mich, u. ermunterte mich sehr doch mein Schaffen u. Wirken nicht für nichts zu achten; das was ich in meiner Kankheit für Andre thun könne, mache mir doch am Meisten Freude. Das ist wohl wahr, wenn ich nur Kräfte hätte; aber gerade das war bis jetzt mein Trost, dass geduldig leiden oft besser sei als viel thun. Essen konnte ich dann gar nichts, sondern war froh, ganz ruhig zu bleiben, die Augen zu schliessen u. mich ein wenig zu erholen. Gottlob kamen dan keine Besuche mehr, da das Wetter ganz arg war, ich blieb, las u. arbeitete und hatte so sehr vieles zu erwägen u. zu bedeuten über das ich mit gar Niemand reden möchte. Mein Kopf ist jedenfalls angegiffen, u. ich bin jetzt gar nicht urtheilsfähig! Abends war ich mit Marie allein, Papa u. Mama in Gesellschaft bei Nanny: Ich nahm sie ins Wohnzimmer u. sie redete mir davon, das sie doch bald heiraten will, was uns auch wieder eine Sorge wäre. (…)
Im Engenweg wird ein Lehenhaus gebaut. Später werden Lehleute gesucht dafür. (…)
Pfarrer Heinrich Hirzel (1818-1871) ist zu der Zeit Diakon im St. Peter und kommt als Seelsorger zu Pauline, um ihr den Segen Gottes zu bringen. Deine Schwester Nanny mag Pfarrer Hirzel gar nicht, wie Du in anderen Stellen des Tagebuches schreibst. Du lässt Dich von der Schwester verunsichern, schreibst dann aber wieder, dass Du nichts an ihm auszusetzen hast. An diesem Tag versuchte er Dich offensichtlich aufzumuntern und dafür zu Sorgen, dass Du Dich selbst mehr wertschätzt.
Du hingegen sprichst davon dass Du es besser findest, geduldig zu leiden statt viel zu tun, etwas, das vielleicht mit Deiner Zeit zu tun hat, denn für mich im 21. Jahrhundert ist das schwer nachvollziehbar.
An dem Tag kamen offenbar sonst keine Besuche, was zu Deiner Zeit definitiv die Ausnahme war und nicht die Regel. Fast täglich geht Deine Mutter Freunde besuche, fast täglich erhält ihr Besuch. Offenbar gehörte das einfach zu Eurem Alltag.
Marie, die Abends mit Dir im Wohnzimmer ist, ist die Magd. Wenn sie heiratet, verlässt sie ihre Stelle als Magd, was für Dich un Deine Mutter viele Umtriebe mit sich bringt. Es ist nicht ganz einfach, eine neue Magd zu finden.
28. März 1863 (…) Als ich sagte wie Leid es mir oft thue, so wenig mit Papa reden z. können wegen seinem Gehör, begriff er (Herr Professor) auch das recht gut, und sagte, seit er es so arg im Arm habe könne er sich auch nicht entschließen z. Amalie zu gehen, wo er sonst fast Täglich gewesen sei; er habe sie seit 14 Tagen nie mehr besucht.
Nachdem wir dann nochmals nach seinem Arm gefragt, fing er plötzlich an, ob ich auch schon einmal in einem Findelhaus gewesen. Es sei ihm vor einigen Tagen etwas in die Hände gekommen, das er mir habe zeige wollen. Es war dieß ein kleines (Bimbel-unklar) mit einer elastischen Schnur u. d. Bildniß St. Vincent u Paul. Es sei dieß das Zeichen, das den kleinen Kindern gleich nach der Geburt fest gemacht werde u. (das man ein von Enden-unklar) kommsn könne! Er erzählte uns dann viel v. d. Einrichtung des Pariser Findelhauses. Zuerst v. d. schönen Inschrift über der Thüre: Vater u. Mutter verlassen mich, aber der Herr hat sich über mich erbarmet! wo bei er ganz gerührt war. Dann wie die Kinder ins Haus gebracht werden, wie die einen Ammen erhalten u. später zu Ammen aufs Land gegeben werden, u. wie Alles so gut besorgt sei, um man für die Ausbildung der Kinder sorge; Die einen von ihnen werden auf die Drehscheibe gelegt, die andern kommen aus dem Gebärhaus in einem grossen Kasten mit 12. kleinen Abtheilungen. dann macht man jedem sein Zeichen fest, das nichts verwechselt werden kann. Er habe gedacht, das könne uns intressieren. Wir dankten ihm für seine Aufmerksamkeit, er will mir wirklich immer Freude machte.
Bald kamen dann die Kinder u. (wache noch Arme-unkar). Ach wie will ich mir Mühe geben über das Fest, wohl zu thun wo ich kann. Segne Du mein Heiland, meine schwachen Kräfte. Leider konnte ich nichts essen, da ich zu müde war ruhte dann aber Nachmitgs gut aus u. konnte Gottlob Abends mit d. Kindern noch das Klürenspiel machen bis sie um 7 Uhr heim gingen. O wie dankbar war ich dafür! (…)
Hier erfahren wir, dass Dein Vater Martin Escher-Hess (1788-1870) offenbar nicht mehr gut hörte. Kein Wunder, dieses Schicksal ereilt auch heute noch so manchen Senioren. Doch gab es damals keine Hörgeräte.
Professor Locher spricht wohl von seiner Tochter Amalie (1830-1913), die mit Felix Robert von Muralt verheiratet ist.
Wie öfters, wenn Herr Professor zu Besuch war, schreibst Du darüber in Deinem Tagebuch. Es ist nicht untypisch, dass diese Besuche und insbesondere, was Herr Professor Dir erzählt, detailliert geschildert wird. An diesem Tag ist es die Beschreibung eines Findelhauses in Paris, über das Herr Professor Bescheid weiss. Die Drehscheibe ist wohl nichts anderes als die heutige Babyklappe. Zumindest etwas, was sich seit Deine Zeit nicht verändert hat. Auch wenn diese sicher weniger oft gebraucht wird.
Das beschriebene Findelhaus könnte eine frühe Inspiration gewesen sein für das “Spitääli”, dass Du später selbst gründen wirst. Ein Spital für Kinder aus ärmeren Verhältnissen (Verweis folgt).
Das Wort “Klürenspiel” ist mir noch aufgefallen: Du schreibst sonst schönes Hochdeutsch, sehr ähnlich, wie es heute noch geschrieben wird. Aber zwischendurch kommen schweizer Dialektaudrucke vor, die zu erkennen geben, dass diese vielleicht aus Deiner gesprochenen Sprache geliehen wurden, nebst dem Klürenspiel stiessen wir etwa auf das Wort “Gstürm” oder “trümmlig”.
Martin Escher-Hess. Vater von Pauline Escher und einer der Hauptinitianten des Baus der Nordostbahn mit ihrer ersten Strecke von Zürich nach Baden.
6. April 1863 (…) Jch war v. Schwitzen sehr müde, versuchte aber doch beim Tische zu bleiben; da niemand Fremder kam. Jch führte es ziemlich lang durch, konnte aber gar nichts essen, u. musste mich dann doch gegen Dessert in meine Stube zurückziehen. Später ging ich dann zu den Kindern. Die Großen spazierten u. ließen uns mit Zofe u. d. Kindern bis 1/2 7 Uhr allein was uns sehr mühsam war. Mama gab ihnen dann noch nette Ostergeschenke, dann schickten wir sie heim aber die Großen blieben, bis 1/2 9 Uhr. Jch konnte gar nichts essen u. trinken, u. dankte dann wirklich Gott, als der lange Tag vorbei war, und ich um 9 Uhr ins Bett konnte. Hr. Pr. hat mir auch gemängelt, u. ich war überhaupt den Tag durch gar zu münde u. unruhig gewesen! (…)
12. April 1863 (…) Später kam noch Furrer aus d. Ottikerhaus, dessen Kind unser Hund gebissen, und ich mußte lang mit ihm unterhandeln. Später aber waren wir allein, lasen zuerst, dann versuchte d. liebe Mama trotz d. Husten noch zu spielen, während ich schrieb und es ging ihr recht ordentlich. Jch aß nachts noch ein wenig Fleisch das mich dann aber unruhig machte und mir einen Schweiß in der Nacht verursachte.(…)
Dass die Anschaffung eines Hundes in Betracht gezogen wurde, erfahren wir in einem früheren Tagebuch (Verweis folgt). Offenbar habt ihr irgendwann einen angeschafft. Was mich dabei verwundert ist, dass der Hund in Deinem Tagebuch sonst nicht vorkommt, nur an ganz wenigen Stellen, hier weil er ein Kind gebissen hat. Das Hunde heutzutage zu wichtigen Familienmitgliedern werden, ist bekannt. Doch schon in Deiner Zeit gab es Familien, bei denen die Hunde eine wichtige Rolle in der Familie spielten - etwa bei der Familie Huber-Werdmüller, die 1880-1890 einen Neufundländer Namens Zampa hatten, von dem wir sogar noch die Kosenamen kennen (Zümpeli, Höröggli, Bistin), der vielen Fotos auftaucht - sogar auf einem Foto, auf dem nur der Hund drauf ist.
Alle Fotos im Staatsarchiv des Kantons Zürich.
13. April 1863, Sechseläuten (…) Eben ging er (Herr Professor) dann fort, als alle drei Kinder, die Knaben in Kaminfeger u. Smmelmehler verkleidet, ankamen, was nett war, aber großen Lärm gab. Nanny u. Elise kamen auch z. Essen, u. ich ging bald von Tisch u. aß dann in meinem Zimmer ein wenig Brod u. Schokolade. Mama hustete Nachmitgs viel mehr, so daß wir recht froh waren, als beide Frauen um 3 Uhr mit d. Kindem auf die Meise fuhren v. wo sie erst um 5 Uhr zurückkamen. Auch die Mägde hatten wir geschickt u. waren allein. H. Panta, H. Landammans v. den Berg kamen z. Zusehen, ich blieb mit Mama Oben, wo wir zwar nur v. fern aber doch recht gut den schönen Zug mit seinen verschiednen Vorstellungen sahen. Er kam erst zuletzt zu uns, u. bis es Dunkel war sahen wir noch v. d. Masken auf d. Graben. Dann trank man Thee, Hr. Schindler kam auch und nach 8 Uhr ging Alles fort. (…)
Am Sechseläuten hat sich wohl wenig geändert. Auch heute marschiert ganz Zürich in den Kostümen ihrer Zunft durch die Strassen. Wie Du schreibst gingen die Schindler-Männer und -Kinder damals mit der Meisen-Zunft mit. Dies ist auch heute noch so. H. Landammans, das sind die Eltern Deines Schwagers Caspar Schindler. Sein Vater Dietrich Schindler (1795-1882) war 1837-1840 Landammann im Kanton Glarus. Seither wurde er wohl als Herr Landammann angesprochen, und seine Frau Als Frau Landammann. Er lebte zu der Zeit im Kreuzbühl in Zürich, wo der Sechseläuten-Umzug allerdings nicht vorbei kam.
Landammann Dietrich Schindler-Schindler (links) und einige dessen Nachkommen am Sechseläuten 2011.
15. April 1863 (…) Nanny kam dann aber, u. war unartig inden sie uns vorwarf, wir hätten inkonsequent Hr. Pfr. Hirzel nachgezogen, u. für eine schwache Person wie ich, sei dieß gewiß nicht gut. Mama tröstete mich dann nachher nur die Jalousie habe sie dazu bewogen, die Sache gibt mir aber doch viel zu denken, und verstört mich ganz u. gar. (…)
Die Differenzen zwischen Dir und Deiner Schwester Nanny im Bezug auf den Pfarrer Hirzel hattest Du schon am 18. März erwähnt, auch hier vertraust Du den Tagebuch Deine Sorgen in dieser Sache an. Dass Nanny Dich als schwache Person bezeichnet, war sicher verletzend.
28. April 1863 (…) (Herr Professor) fragte mich dann Alles, bat mich, Abends auch noch ein wenig Wein zu trinken und ich klagte ihm wieder recht meine große Mündigkeit. Er verwundet sich daß ich im Morgen schlafen könne, sagte dann aber so freundlich und gut, er begreife vollkommen diesen Zustand. Theils habe er ihn an sich, selbst er fahren, theils auch schon viel solche Kranke behandelt. Wenn er mich aber gehen ließe, so würde ich am Ende gar nicht mehr hinaus kommen, und da mir jetzt Energie mangle müsse er eben sein Möglichstes thun. Wir sollen jetzt für einen Esel schreiben, mit Badenweiler hingegen v. dem ihm Mama sprach, wäre es für mich gar nichts. Man sei viel zu nahe beisammen, habe keine guten Bäder, und den ganzen Tag beständig Essesgerüche. Und viel zu viel Zürcher! Er hoffe immer noch einen Ort zu finden, wo es bessen wäre. Mama sprach v. Heinrichsbad, aber ich kam wieder tüchtig ins Weinen u. mußte dann nur nachher für meine Schwachheit abbitten! Herr Prof. war aber sehr gut, u. sagte nur ich solle soviel als möglich essen. (…)
Hier erfahren wir noch weiteres zu den Therapien, die Herr Professor Dir empfiehlt. Regelmässig schreibst Du ja, dass Du “Deine Milch” trinkst, und in einem früheren Eintrag war schon davon die Rede, dass Eselsmilch Dir vielleicht besser helfen würde als Kuhmilch. Eselsmilch wurde zum aufbau von abgemagerten Organismen verwendet und für viele andere Krankheiten. Mein Eindruck ist, dass Herr Professor die ganze Palette von Behandlungsmöglichkeiten testet, die ihm für Deine Symptome zur Verfügung steht. Immer in der Hoffnung, einmal auf das Richtige zu treffen. Er versteht, dass Empathie und gutes Zureden für Dich sehr wichtig sind.
Ein Teil fast jeder Therapie scheint eine Badekur zu sein. Den zahllosen Bädern in der Schweiz und in Europa wurden unterschiedliche Wirkungen zugeschrieben, wobei bestimmt die Erholung jeweils ein wichtiger Heilungsfaktor war. Weshalb sich Badenweiler nicht eignete, protokollierst zu sehr genau. Offenbar wäre Dein Aufenthalt dort auch nicht sehr anonym, da dieser Ort bei den Zürcher*innen wohl beliebt war.
6. Mai 1863 (…) Papa brachte dann einen angenehmen Bericht v. unsern schönen Ottikernachbarn, die sein Geschenk v. 10 Fr. für den gebissenen Buben nicht nehmen wollten sondern v. 180 Fr. sprachen. (…)
Der Follow up zum Hundebiss. Nachbarschaftliche Feindseeligkeiten scheinen auch zu Deiner Zeit stattgefunden zu haben...
10. Mai 1863 (…) bald kamen dann die Kinder welche ich eingeladen, da Papa u. Nanny z. Elise z. Essen gehen. Im Anfag waren sie odentlich, als aber das Essen vorbei war, wurden sie gar laut u. ich konnte sie kaum dazu bringen, ein wenig Thierbücher anzusehen. Leider gab es dann noch ein Gewitter sodaß ich sie erst nach 3 Uhr heimschicken konnte u. dann ganz müde u. heiß war. (…)
16. Mai 1863 (…) wir konnten Hr. Professor, welcher vor d. Essen noch kam, in d. Wohnstube empfangen. Er dankte für d. Wein, der seiner Frau große Freude gemacht, u. den sie mogen auf unsre Gesundheit versuchen werden. Dann sprach er mir sehr zu mit d. Essen; ich war aber so in Weinen, daß ich ihm gar nicht antworten konnte. Er sagte früher habe ich doch immer noch meine Meinug sagen können, aber jetzt sei ich ja ganz am Boden. Ich müsse mich zusammennehmen, u. hauptsächlich z. essen suchen; er könne nur an mich anreden, mit Argumenten sei hier nichts zu machen. Jch versprach mein Möglichstes zu thun, aber heute war es mir auch gar zu unbehaglich. Ich hoffe doch immer es sei die ungewohnte Luft, und werde v. selbst besser kommen; wenn ich nur essen könnte, nur ein wenig Mut hätte! (…)
Zuweilen ist wohl auch der Herr Professor etwas ratlos mit Deiner Krankheit. Immerhin wünschst Du Dir jetzt selbst, dass es besser geht.
22. Mai 1863 (…) Oft will es mir vorkommen, als ob erst jetzt etwas ganz Neues aus mir werden sollte. Meine Sünden sind häßlicher als je, zum Kämpfen habe ich keinen Muth u. keine Kraft, und weiß oft nicht wie aus u. ein. Aber wie gerne u. willig wollte ich Alles leiden, wenn ich nur einmal den freudigen Glauben an das Verdienst meines Heilandes haben könnte, und die rechte Liebe zu Ihm, der so viel für mich gethan. Mit Ihm und durch Ihn könnte ich dann auch kämpfen und gewiß überwinden. Ach wenn Er mir ein neues Herz und einen neuen, gewissen Geist geben wollte, wie könnte ich Ihm genug danken für das Leiden die Bangigkeit die Er mir auferlegt. Soll ich, darf ich nicht verzagen!
(Herr Professor) habe gestern mit Hrn. Cloetta geredet, u. sie beide hätten gefunden ich müsse wo immer möglich ein wenig fort, aber ehe ich mich ans Essen gewöhnt habe, wäre es nicht möglich; er habe sich deßhalb vorgenommen, mir das durchaus nicht nachzulassen, auch wenn es mir fast unmöglich scheine. Mama fragte dann wegen d. Esel, und er sagte, sie sei ihm zuvorgekommen. Er habe auch davon gehört, und sei dann selbst hin um ihn zu sehen, habe aber ein altes (einänziges-unleserlich) Thier gefunden, u. halte es darum für viel besser, wenn ich mit der gesunden Kuhmilch fortfahre, und nicht schon wieder ändere. Wenn ich sie ertragen könne, so sei sie nahrhafter als die anden, u. würde mich fester machen, aber die Andern verstünden des eben nicht so wie er es sich denke (…)
Jetzt kommt Herr Cloetta in’s Spiel, mit dem sich Herr Professor berät. Arnold Leonard Cloetta (1828-1890) war der Schwiegersohn von Professor Locher und selbst selbst praktischer Arzt, Pathologe und Pharmakologe, der auch eine Professur inne hatte. Cloetta wird in der Folge immer wieder vorkommen in Deinen Tagebüchern.
30. Mai 1863 (…) Die Milch bekam ich erst nach 7 Uhr, u. dazu gab es soviel im Haus für Babeli zu besorgen dass es mir am Ende ganz wirr wurde u. ich anstatt Gott um Hülfe u. Stille anzurufen, Nachts noch einen hässlichen Ausbruch machte der die liebe Mama tief betrübte, so dass sie mir Nachs im Bette noch recht ordentlich zusprechen mußte. Ach ich fühle es wohl, wie schlecht ich bin, u. wie mein Herz steinern u. verschlossen ist. Aber doch kann mir Neimand helfen, als der treue Heiland allein. Doch dann kann ich ihn gerade nicht anrufen, wenn es am Nöthigsten wäre. (…)
1. Juni 1863 (…) Abends hätte ich auf Hr. Prof. Geheiß ein Butterbrod essen sollen, u. Alles dazu bereit gemacht. Papa wurde aber über eine Bemerkung v. Mama sehr böse, u. das nahm mir dann allen Appetit und machte mich recht traurig. (…)
4. Juni 1863 (…) Papa verreiste am Morgen zieimlich Früh (nach Wien), und nahm nur kurzen Abschied v. mir. Ich blieb auch so kalt und ungerührt, obschon ich ja weiß wie lieb er mich hat, wenn er es auch nicht sagt. Aber ich konnte ihm gar so wenig Freude machen. O mein Gott, bringe Du ihn uns wieder glücklich zurück. Frau Schultheß-Meiß schickte ich z. Namenstag ein Krägli u. Manschete Als ich dann am Morgen hinunterkam, war mir sehr bang und unbehaglich, und ich fürchtete der Tag könnte ganz gefehlt sein da mir gar so traurig zu Muth war. Nanny kam schon v. Bahnhof für den ganzen Tag, ich hatte aber den Morgen durch im Hause zu thun, aß dann ein wenig Sulz mit ihnen u. besorgte die Hühner. Ach, wie so traurig bin ich, wie drücken mich meine Sünden, u. die Furcht, daß Gott mich verlassen habe Nachmittags saßten wir dann Alle im Garten, man trank früh Thee, und Mama fuhr noch um 6 Uhr in die Eierbrecht. Jch hatte nicht mit mögen, und ein weing auszuruhen, und benützte dann auch die Zeit, um stille in meinem Zimmen zu sein, wo ich versuchte einmal ein Butterbrod zu essen wie es Hr. Professor schon lange wünschte. Es ging ordentlich damit! Nachts saßen wir dann allein beisammen. Jch aß noch ein wenig Bord. (…)
Zwischendurch gibt es immer wieder einen Hoffnungsschimmer, wenn es Dir gelingt, etwas zu essen.
In der Eierbrecht wohnt Nanny mit ihrem Mann. Ein Foto der Stube aus dieser Zeit ist überliefert. Links und rechts vom Spiegel lassen sich knapp die Portraits Eurer Eltern erkennen. Auf dem Tisch steht ein bearbeitets Foto von Hans Stockar-Escher, das seinerseits auch erhalten ist (beide Fotos im Staatsarchiv de Kantons Zürich).
10. Juni 1863 Heute haben wir wieder einmal unseren unruhigen Tag und obschon ich am Mogen noch recht den lieben Gott um Seinen Segen bat, wollte es doch v. frühan schon nicht gehen. Babeli bei der man immer in der Küche stehen muß, machte uns schon v. früh an ärgerlich dann kam Alles z. Essen, die Kinden waren sehr laut u. unruhig, u. ich konnte gar nichts essen. Erst die Milch Abends stellte mich dann ein wenig her, und ich war froh, als es Abends bei Zeiten es Ruhe gab. Ach wann werde ich wieder einmal wohl sein, u. mich ins Leben fügen könen, wie die Andern! (…)
11. Juni 1863. Ich blieb ziemlich lang im Bett, u. ging dann hinter Nanys Sessel um ihn heute fertig zu machen, ganz unewartet kam aber Hr. Professor wieder mit fröhlichem Gesicht u. wie um mich aufzuheitern. Jch gestand ihm, daß ich nichts gegessen u. versprach, es heute besser zu machen. Er blieb aber doch gut, u. begreift, daß an solchen (Sturm-unleserlich)tagen meine physische Schwäche die moralische Kraft übersteigt. Er erzählte mir dann erst noch Alleerlei, v. u. Schlittenfahrt bei der er sich fast angezündet u. v. d. Duel zweier Studenten. Er blieb wieder lang u. Mama sagte, er komme nur um mich aufzuheitern. (…)
Der Verdacht, dass Dein Leiden eben auch ein Psychisches ist, bei dem die Versuche, Dich aufzuheitern mehr bringen als Medikamente und andere Therapien, hege wohl nicht nur ich. Ich habe mich auch schon gefragt, ob Dir vielleicht auch einfach ein Ziel im Leben fehlt? Viele Optionen hast Du nicht zur Verfügung gehabt. Und die wenigen, die Deine Zeit Dir anbietet, hast Du selbst weiter eingeschränkt, indem Du Dich dafür entschieden hast, für Deine Eltern da zu sein. Nun bist Du 34 Jahre alt und es ist eher umgekehrt, dass sich Deine Eltern immer noch stark um Dich kümmern müssen. Eine Ausbildung, eine Berufstätigkeit, Reisen - solches mussten sich Frauen Deines Standes damals erkämpfen. In wohltätigen Organsiationen bist Du zuweilen engagiert (Verweis folgt), aber das füllt Dich nicht aus. Es bleiben Handarbeiten, die Du pflegst, und das Führen eines gottesfürchtigen Lebens, das Dir sehr wichtig ist, Dir aber weder in der Form gelingt, wie Du es Dir wünschst, noch Dich erfüllt.
15. Juni 1863. (…) Jch empfing (Herrn Professor) allein, u. er war im Anfang sehr ernsthaft. Jch sagte ihm wie mir Alles so verleidet sei, u. ich sei wie ein Stein so gleichgültig. Er erzählte dann aber wieder Allerlei, u. brauchte 1 H. um überzufahren. Als Mama dann noch kam, gab es noch Viel z. reden. Sie erzählte ihm m. Traum v F. Trudel, u. klagte bei diesem Anlass ein wenig über die Leute die mich dort, oder so wo versorgen möchten. Er sagte bei diesem Anlass wolle er mir auch etwas erzählen. (Escherhorker-unleserlich), die ich ja auch gekannt sei etwa ein Jahr v. ihrem Tode auch unnwohl u. angegriffen gewesen, wohl schon die Vorboten ihrer letzten Krankheit, u. da hätten Frau Sommer u. M. Escher die Idee gehabt, sie in eine Irrenanstalt zu versorgen. Erstere sei sogar selbst zu ihm ins Haus gekommen, aber er habe es durchaus nicht zugegeben, weil sie an einem solche Orte noch ganz unglücklich hätte werden sollen. Er findet eben es wäre besser sich gar nicht in d. Angelegenheiten andrer zu mischen, besonders bei Umständen die durchaus nur ein Arzt verstehen könne. Überhaupt solle doch ja nie eine Dame sich zu viel getrauen, man werde so bald unweiblich u. gerade in diesen hatte wäre es ja ganz unstatthaft gewesen. Was mein Fortgehen anbetreffe, so möchte er mich gern ein Mahl aus Allem wegnehmen aber er kenne ja die Schwierigkeiten u. Deßhalb solle ich nur vor Allem mir mit d. Essen rechte Mühe geben (…)
Offenbar klatschte in der Stadt Zürich über Deinen Zustand. Die Option, Dich in einer Anstalt zu versorgen, leht Herr Professor zum Glück kategorisch ab.
17. Juni 1863. (…) (Herr Professor) wünscht sehr, daß ich nun einmal nach Baden oder ins (fährli-unklar) gehe, ganz wie es uns am liebsten sei, nur etwas probieren (…) Ach sogar gegen Hr. Prf. bin ich ganz abgestumpft, hilf Du mir mein Heiland. Um 7 Uhr holte Fidel die Kinder ich war am Ende sehr müde geworden u. mußte mich dann ein wenig zurückziehn während H. Schindles Fische aßen. Später ging ich dann auch noch hinunter, u. erhielt v. Caspar als Reisekram eine schöne silberne Filigranschnalle, zur Tracht d. (Berchtes godnenkanrinnen-unklar) gehörend, die er mit Mühe hat kaufen können. Dazu eine nette Photographie das ostreichischen Kaiserhauses, was mir beides große Freude macht. (…)
19. Juni 1863. (…) Jch stand erst spät auf, u. konnte nicht zu d. Hühnern, da es in Strömen regnete. Dessen ungeachtet kam dann aber nach 11 Uhr Hr. Pofessor ganz nass; und da wir ihn sehr bedauerten u. sagten wir hätten ihn nicht erwartet, erwiederte er, er sei auf Wegen nach Luzern gebeten. Er habe es zuerst abzgelehnt, da es ihm doch den ganzen Tag wegnehme, aber nun sei ein zweiter Brief gekommen, den er uns nun zeigte, u. worin er inständig gebeten wird selbst zu kommen, so daß wir dem Patienten zum Besten reden mußten. Er sagte diese Consultationen seien etwas sehr undankbares, weil man gewöhnlich zu spät komme, wen alle Rettung unmöglich sei. Einmal jedoch, bei Banquier Knörr, habe er die Genugthuung gehabt, die Krankheit anders zu erkennen, u. der sei dann gerettet worden, was ihn jetzt noch freue. Mama sagte, sie brauche nicht so weit zu gehen, wenn sie denke wie Hr Rahn mich aufgegeben, u. Hr. Porfessor dann ganz andere Mittel eingeschagen so müste sie immer dankbar sein. Er sprach mir dann mit d. Essen zu sagte aber er wolle mir nicht predigen, sondern mich nur bitten u. nachdem wir ihm dann nach dem Morgen ordentlich Wetter und guten Erfolg gewünscht, fuhr er im ärgsten Regen wieder nach der Stadt zurück.(…)
24. Juni 1863. (…) Dann gab es auch aufs Essen für die Kinder zu bereiten, und da Mama gar so viel kochen ließ, natürlich wieder Verdrus mit Babeli. Die Kinder kamen auch mit großem Lärm an, führten sich bei Tisch unartig auf, so daß wir froh waren als des Essen worüber war. Mama wurde dann aber doch noch böse über mich u. ich zog mich traurig in mein Zimmer zurück, wo ich schrieb u. las bis es wieder Zeit f. d. Hühner war. Unterdesen war Elise gekommen, u. Alles sass in die obere Diele, da das Wetter prächtig, hell u. schön war. Jch bereitete f. d. Kinder u. zum Thee den man auf d. Zinne trank, wurde aber nach u. nach so müde, daß ich es fast nicht mehr aushalten konnte. Papa u. Elise beschlossen, es müsse nun mit mir etwas gethan werden, u. ich müsse fort! schon morgen oder Freitag nach Baden. Jch fügte mich schweigend u. zog mich dann als die andern aßen, in mein Zimmer zurück. (…)
25. Juni 1863. (…) Am Morgen machte mir Mama eine Tasse gute Schokolade, die ich gut fand, nur füllte sie mir stark den Magen. Jch blieb lang im Bett, las und betete so gut ich konnte, u. besorgte dann meine Hühner. Papa hat heute wieder sehr wegen Baden insistiert; er will durchaus selbst mit Hrn Prof. reden, u. traf es dann wirklich, daß er vor dem Essen ihn antraf. Hr. Prof. hatte uns vorher Alles gesagt, u. mir gerathen dies Jahr einmal abzumachen. Er finde es dann aber besser, um 1/2 1 Uhr zu gehen, u. sich ein ruhiges Zimmer geben zu lassen. Dann solle ich eine Tasse Kaffe trinken während Papa u. Mama an die Tafel gingen. Jch versprach ihm das zu thun, und als dann Papa kam zog ich mich so gleich zurück, und erwartete das Ende der Unterredung mit Herzklopfen. Er blieb noch ziemlich lang da, u. ich öffnete ihm dann die Thüre, wo er recht freundlich Adieu sagte. Mama erzählte mir dann, er habe Papa ganz im Ernst Alles erklärt, u. ihm gesagt, ob er denn glaube wir hatten unterdessen (Morengossen-unklar) getrieben, u. nicht schon lange an Alles das gedacht. Er wußte ihn dann wieder zu beschwichtigen, u. wir haben uns vorgemommen wenn Gött will, einen d. ersten Tage nächster Woche nach Baden z. gehen. Essen konnte ich dann nicht, nach all diesen Emotionen, hingegen Nachmittags ein wenig fort, dann ausruhen bis Marie Bürkli kam, u. nachher auf d. Zinne arbeiten. Abends waren wir allein, u. machten wieder einmal ein ruhigen Gang ums Gut. Mama hat Babeli noch aufgesagt, da sie auch gar zu unangenehm und gleichgültig ist. (…)
Dein Vater verliert wohl langsam die Geduld. Kein Wunder, wo es doch seit Jahren keine merkliche Veränderung Deines gesundheitlichen Zustands gibt. Zwar lässt sich der Herr Professor nicht gern rein reden, aber er sieht wohl doch auch ein, dass es nicht in diesem Trott weiter gehen kann.
28. Juni 1863. (…) Jch konnte am Morgen Mama Allerlei helfen, und war aber fertig und angezogen, als Hr. Professor kam, den wir heute nicht erwarteten. Er war sehr gut mit mir, u. ich dankte ihm daß er Papa beruhigt habe. Er bat uns nun doch bald die Fahrt zu unternehmen, damit einmal das Gedränge der Famlie ein wenig gestillt werde. Er sagte ihm sei es ja am Meisten daran gelegen, mich fortzubringen aber am liebsten möchte er mich irgendwo hin thun, wo man mich gar nicht auffinden könnte. Da das aber nicht angehe so wolle man, das Möglichste thun, um sonst ein artiges Pläzchen zu finden, aber vorher müsse ich dann doch in Baden noch ein Bad nehmen. Jch versprach Alles sagte aber nur daß ich sehr fürchte, Heimweh zu bekommen nach ihm selbst u. nach meinen kleinen Beschäftigungen. Er tröstete mich aber, u. sagte dafür werde ich auch wieder Ersatz finden. Zum Essen kamen Alle auch die Kinder, ich blieb zum Voressen, hatte dann aber genug, da Elise auch noch ein wenig unartig mit mir war. Essen konnte ich ein paar Löffel Suppe sonst gar Nichts, Nachmitgs verchhalte ich ab. Es regnete stark und die Kinder spielten auf der Winde. Herr Stockars fuhren bei Zeiten fort Hr. Schindlers blieben noch ziemlich lange, und plagten mich wieder sehr mit dem fortgehen. (…)
28. Juni 1863. Obschon ich diese Nacht durch ein Gewitter gestört und überhaupt schlecht geschlafen, war doch Papas erster Gedanke wieder Baden und obschon es sehr schwül und gewittrig war, entschlossen wir uns doch ihm den Willen zu thun. Nachdem Jch deshalb noch dem lieben Gott alle meine Sorgen und meinen Ausgang anbefohlen stand ich dann schon vor 9 Uhr auf, zog mich an und machte Alles bereit. Um 10 Uhr kam Fidel u. führte uns zum langen Steg. Natürlich war ich dort schon müde und der Lohnhof mit seinem Getümmel und d. vielen Menschen machte mich ganz traurig u. trümmlig. Wohlversorgt in einem Cupé befahl ich in meinem Herrn diese erste Ausfahrt dem lieben Gott, der mich ja so geduldig u. treu bis hieher geführt hat. Und es ging mit d. fahren recht ordentlich. Die Bewegung machte mir nichts, nur das Getöse machte mir trümmlig. Die Gegend v. Baden war mir sehr heimlich, wir bestiegen im Lohnhof den Omnibus, der uns bald ins Schiff brachte. und die gefürchtete Begegnung mit Frau Brunner ging noch ordentlich vorbei. Sie führte uns gleich mein schön kühles Zimmer, wo ich bis Mittags halb schlafend ausruhte. Mama badete, u. ging dann mit Papa zur Tafel ich blieb im Zimmer, u. hatte nicht den geringsten Appetit. Während d. Essen las u. arbeitete ich ruhig, u. erst als Mama zurück kam brachte. man mir eine Tasse Caffe mit Milch, die ich trank, aber Brod hätte ich nicht essen können, da mein Magen ganz müde war. Dann machte uns Frau Brunner einen u. langen Besuch. Mama ging noch aus um Nelken zu kaufen, u. ich rüstete mich indes zum Heimweg. Frau Bruner macht uns Hoffnung f. eine Köchin, wenigstens will sie sich nach jemand erkundigen, u. ich kann nur d. l. Gott bitten, daß Er ihre Bemühungen segnen wolle. Um 1/2 5 Uhr stiegen wir und wieder in d. Omnibus, trafen aber im Lohnhof (J. Ulrich-unklar) an, die sich uns anschloß, und mit uns nach Zürich fuhr. Dazu stand noch ein Gewitter am Himmel, u. das machte uns d. Heimweg mühsam. Auch die Anknuft im Lohnhof war stürmisch, und die Wagenfahrt gar so lang. Als ich dann endlich mit innigem dank gegenen Gott wieder heimkam wurde mir schlecht und trümmlig; ich mußte in mein Zimmer, wo ich starken Hast bekam, machte aber dann doch später noch für die Hühner bereit und ging gegen 9 Uhr zu Bette, wo ich aber lange nicht einschlafen konnte, sondern sehr aufgregt war. Alles dreht sich in meinem Kopf, u. doch muß ich nur danken u. loben daß ich wieder bis hieher gebracht worden, bin!
An diesem Tag fand nun also das grosse Abenteuer statt - ein Ausflug nach Baden. Die kurze Zeit in Baden verbringst Du ohne zu Baden im Hotelzimmer des Hotels Schiff. Doch immerhin ist es ein Schritt aus Deinem Krankheitsalltag.
3. Juli 1863. (…) Nachmitgs mit Mama im Visitenzimmer arbeiten, da es sehr heiß ist. Abends Elise u. die Kinde später H. Schindler, das Getümmel machte mich aber wieder sehr müde, und als dann später Caspar u. Elise wegen der Kindererziehung noch zankten bekam ich ganz genug u. zog mich in mein Zimmer zurück. (…)
4. Juli 1863. (…) Herr Professor kam bald nach 1 Uhr, er brachte das Rübli mit Dank, u. die Bohnen scheinen ihn gefreut zu haben. Er war wieder sehr gut gestimmt, fragte mich Alles ausführlich, sprach mir Muth zu, und ermahnte uns wo möglich am Montag nach Baden zu gehen. Er erzähte uns dann noch Allerlei, von Fritz Pestaluz, v. d. vielen armen, u. schlichten Leuten u. u. Hr. Cloetta, der so viele Straffälle zu besorgen habe. Besonders beschäftige ihn jetzt eine Kindsmörderin in Bonstetten deren Geschichte er mir dann nur zu ausführlich mit allen Details erzählten diese wolle gar nicht sagen, wo sie ihr Kind, hingeschafft habe. (…)
4. Juli 1863. (…) Bald fuhren Papa u. Mama in die Eierbrecht (zu Nanny und Hans Stockar-Escher). Ich setzte mich mit Marie u. der Arbeit auf die Zinne wo ich einen ruhigen Abend hatte und nur böse wurde als Babeli erst gegen 9 Uhr heimkam, und man wieder für sie lehen mußte. Essen konnte ich dann nichts mehr, als einiges Brod, hatte Dann auch Nachts schlechte Träume und war am Morgen sehr müde. (…)
12. Juli 1863. (…) Mama kam dann auch u. Hr. Professor erzählte zuerst sehr lustig v. Frau Oberrichter (Ulrichs Trilette - unkar), und tödete dann eine Fliege an seinem Kopf wobei es ganz klatschte und er lachte, dann aber fragten wir ihn, ob sie heute ihr Essen hätten, u. er wurde ganz ernst u. sagte das würde für sie nicht passen. Wir durften nicht fragen, (un begegnet sei-unklar) u. er erzählte dann von selbst, daß Konrad Muralt ganz angegriffen im Kopfe und jetzt bei ihnen sei, da man ihn nicht mehr zu Hause habe lassen können. Aber wie das traurig ist, dieser gute junge Mann! Hr. Professor glaubt wohl, die Erziehung sei ein wenig Schuld, er habe eben doch keinen rechten Beruf. Leider wurden wir aber durch Papa unterbrochen, u. Hr. Prof. ging bald. Mich hat diese Nachricht sehr aufgeregt. Ich kann mir einen solchen Zustand so leicht denken und muß nur beten, daß der treue Gott mich vor Ahnlichem bewahren wolle. (…)
An diesem Tag erfahren wir eine der wenigen lustigen Ereignisse mit Herrn Professor. Gleichzeitig aber bahnt sich eine traurige Geschichte an. Konrad Muralt war der Schwiegersohn von Herrn Professor. Im Fotoalbum von Pauline Escher befindet sich folgendes Bild von ihm:
13. Juli 1863. (…) Mittags brachte mir Papa die Karlsbaderkurliste heim, was mich aber so angriff daß es mir ganz übel wurde, u. ich dann von Tisch weg mußte ohne etwas zu essen. (…)
Karlsbad ist ein besonderes Thema. In früheren Tagebüchern schwärmst Du von einem Kuraufenthalt dort und von den vielen schönen Bekanntschaften, die Du dort gemacht hast (Verweis folgt). Vielleicht wollte Dir Dein Vater eine Freude machen mit der Liste, bewirkte aber das Gegenteil.
16. Juli 1863. (…) (Herr Professor) erzählte dann noch viel v. Conrad Muralt, der jetzt nach Wyl abgereist sei, wie man ihn am Morgen 1/4 vor 4 Uhr schon in d. Wagen eingepakt habe, jemand hätte ihn abgenommen u. er sei ganz willig gewesen! Herr Cloetta sei mit ihm bis nach Winterthur in Herrn Professors Wagen dann in Herr Obersts. Anna habe auch mit ihn bei ihnen gewohnt, auf der andern Seite des Hauses, wo sie ihm nicht gehört habe, die letzte Nacht sei sie dann aber heimigegangen da man ihm keine Anfregung mehr habe machen wollen. Jetzt sei er gut versorgt, und er hoffe bald seiner Verantwortlichkeit los zu sein, wenn Herr Oberst da sei. (…)
18. Juli 1863. (…) dann fing (Herr Professor) plötzlich an: Nicht wahr, unser Verhängniß ist schon über uns hereingebrochen; Heute Morgen ist Conrad Muralt schon gestorben! Jch wußte im Anfang gar nicht wie mir geschah, so unerwartet u. schrecklich war mir dieser Bericht. Herr Professor ging dann hastig im Zimmer auf u. ab, und schluchzte laut, was mich sehr ergriff dann erzählte er uns noch, gestern schon seien 2. Depeschen gekommen, die eine plätzliche Kräfteabnahme anzeigten u. diesen Morgen früh die Todesnachricht. Anna sei nun aber nach Wyl hinauf gereist. Herr Obersts berichte man nach Augsburg, daß sie sich auf Alles gefaßt machen sollten. Es sei sehr sehr traurig, Anna sei in diesem Augenblick, wie eine andere Frau bei ähnlichem Anlaß auch wäre, hingegen habe sie ja doch ihren Verstand, und später werde sie selbst einsehen, daß ein Körper der schon beim erste Anfall zusammenbreche, nie mehr vollkommen gesund hätte werden können, u. kindlich zu werden, sei ja noch viel ärger, Ihm sei ja die Erlösung zu gönnen, u. die Hinterlassenen werden sich eben auch schicken müssen. Veränderungen werde es schon geben, schwere Veränderungen, aber das müsse man eben auch in Geduld und Ergebung zu tragen suchen, u. Trauriges gebe es ja überall nur zuviel in dieser Welt. Sie hätten sich nichts vorzuwerfen, sondern ihr Möglichstes gethan, aber länger hätten sie ihn nicht behalten können, dann wenn er einen Hund habe bellen hören, so habe er schon geschreien das seien seine Kinder, man solle sie ihn nicht hineinlassen, sonst fresse er sie. Und aus diesen Umgebungen habe er nothwendig entfernt werden müssen. Mama fragte da noch, ob dieß wohl eine Gehirnerweichung gewesen, Hr. Prof. glaube aber nein; sondern eher eine plötzliche Lähmung des Nervensystems und im Kopf und Hirn gehe das dann gar schnell, darum habe er auch so plötzlich seine Kräfte verloren. Die armen, armen Kinder, u. der arme Herr Professor! und doch wie gut v. ihm, daß er es uns selbst sagte, denn es hat ihm gewiß sehr Mühe gemacht. So schluchzen habe ich ihn noch nie gesehen. (…)
Deine Beschreibung des schluchzenden Professors und seines Berichtes sind berührend und auch recht anschaulich. Den Schock dieses unerwarteten und schnellen Todes spürt man aus diesen Zeilen auch heute noch.
Anna von Muralt-Locher, die Tochter von Professor Locher, ist an diesem Tag Witwe geworden und muss sich nun auf ein anderes Leben einstellen.
20. Juli 186320. Juli 1863. (…) Ganz unerwartet, kam dann nach d. Thee noch Hr. Prof. im Leidkleid. Er kam eben v. Thalgarten, wo er Herrn Obersts erwartet habe. Die Ankunft sei ganz ordentlich gegangen, er habe ihnen seine Mittheilung gemacht, dann aber sich entfernt, u. sei jetzt noch lieber ein wenig ins Freie, als im Zimmer zu sitzen. Er erzählte uns dann ausführlich v. d. Sektion, die Herr Cloetta gestern in Wyl vorgenommen. Die Lungen seien ganz gesund gewesen, hingegen der Schädel an einzelnen Stellen viel dicker an andern ganz pazierdann zum brechen. Das könne vielleicht schon v. Geburt an so gewesen sein, jedenfalls wäre da aber keine Heilung möglich gewesen, u. H. Muralt wäre entweder tobsüchtig geblieben oder ganz kindisch geworden. Wie sei ihm da der Tod zu gönnen. Anna schicke sich recht ordentlich in ihr Schicksal, sie sei wohl sehr traurig, aber ergeben, u. werde später einmal Alles noch besser verstehen. Dann sei ihr Lebensweg ja klar u. bestimmt vorgezeichnet, vieles werde sich verändern, aber sie werde zu schaffen haben, u. das werde sie v. ihren Gedanken abziehen. Bis jezt habe er sie immer Abends zum Nachtessen geholt, u. Nachts sei Frau Professor mit ihr heim, um bei ihr zu schlafen. (…)
D
22. Juli 1863. Am Morgen war ich müde u. trümmlig wie noch nie, so daß ich nicht einmal recht zum Lesen kommen konnte. Dazu kam Nanny schon vor 10 Uhr aus der Eierbrecht, um ihre Kondolenzbesuche zu machen. Frau Oberst Muralt sei ganz gefaßt und ergeben. Sie war dann noch nicht lang fort, als Hr. Professor zu Fuß kam, durch Hitze und Staub. Ich klagte ihm sehr über meine Müdigkeit u. Schlaffheit, er rieth mir Ruhe, u. hofft Hitze und Hast werden sich doch bald legen. Er blieb heute nicht. (…)
D
25. Juli 1863. (…) Ich fühlte mich zwar den ganzen Abend kalt u. unbehaglich aß aber doch noch Suppe, u. ging zu Bett ohne etwas Böses zu ahnen. Bald bekam ich dann aber so heftigen Frost, daß es mich ganz schüttelte unter vier Decken, und ich recht Angst hatte, und viel ans Sterben denken mußte. Der Gedanke an meine armen Eltern plagte mich sehr, obschon die Erde mich einestheils nicht reuen würde. Dann aber wieder der Gedanke an alle meine Sünden, die mich v. meinem Heilande trennen, u. der Gedanke an die viel verlorenen Tage. Ich war recht bang bei mir selbst, und bat Gott v. Herzen mir noch eine Gnadenfrist zu geben, u. damit zugleich Muth u. Kraft sie treulich zu benüzen. Nach u. nach fühlte ich dann eine starke Hitze kommen, und am Ende brach ein tüchtiger Schweiß aus, in welchem ich dann bis am Morgen geduldig liegen bleiben mußte. Gottlob konnte ich doch ruhig liegen, aber so bald ich die Augen schloß, kamen mir wieder dumme Bilder vor. Am Morgen erschrack Mama, ich hingegen war froh, daß die Nacht vorbei u. da wir Hrn. Professer ohnedieß erwarteten, schickten wir nicht zu ihm hingegen behielt mich Mama im Bett. Er kam dann wirklich nach 11 Uhr u. war etwas besorgt mich im Bett zu finden. Er visitierte mich wieder einmal ganz, glaubte zuerst ich hätte eine Aufregung gehabt, oder dann müsse es v. Wetter sein. Hingegen hoffe er doch, es gehe bald vorbei, ich solle im Bett bleiben bis Abends u. dann recht ruhig sein! er erzählte uns dann noch ein Gespräch mit Hr. Zangger über Maße u. Ottikerhaus, u. ging dann fort indem er wünschte, mich nächstes Mahl wieder unten anzutreffen. Mama brachte mir ein wenig Reis ins Bett, doch ist mein Magen ganz verdorben, ich hatte auch wenig Ruhe, sondern war sehr aufgeregt. (…)
D
30. Juli 1863. (…) Dann wollte ich an Luise Escher schreiben, aber bald kamen Frau Orell u. Frau Peter. Letztern bestärkte mich mit Ragatz. Erstere erzählte mir gar soviel v. den Muralt und Locher, wie sie am Beerdigungstag Hr. Professor zu uns fahren gesehen habe. (…)
D
31. Juli 1863. (…) Mama erzählte ihm dann v. d. gestrigen Besuch u. Frau Peter, die ihr einen andern Arzt empfohlen habe. Er sagte, er wolle uns gar nicht davor sein, wenn wir noch einen Anden konsultieren wollten, doch denke er, jeder werde ungefähr das Nämliche sagen, daß da nichts zu erzwingen sei, sondern die Natur sich nach u. nach helfen müsse. (…)
D
2. August 1863. (…) Die ausführliche Erzählung v. d. Kaiserinn v. Ostreich machte mich ganz traurig u. ich ging bald vom Tisch. (…)
D
20. August 1863. Heute haben wir Wäsche. Das Wetter ist sehr schön aber so heiß, daß ich durchaus mit thun u. helfen kann, da meine Arme u. Beine wie abgeschlagen sind. Jch machte deßhalb Bohnen ab, u. vor den gen kam noch Hr. Professor, auf das ich mich ein wenig gefreut hatte. Er war aber nicht gut gelaunt, klagte über die Hitze u. sagte gar nichts v. meiner Malerei. Er wollte auch Mama nicht abwarten, welche sich schnell angezogen hatte und diese wurde dann böse über mich, daß er schon fort war, als sie wegen Elise mit ihm reden wollte. Mir schlug dann Alles ganz auf d. Magen, sodass ich nicht essen konnte u. mochte, und so weniger da so große Portionen auf den Tisch kamen, vor denen mir ganz erkelte. (…)
D
16.August 1863. Heute beginnt der Kongress der deutschen Fürsten in Frankfurt. O mein Gott gib Du dazu Deinen Segen u. laßt Dein Licht aufgehen bei Fürsten und Volk. (…)
D
19. August 1863. (…) um 4 Uhr kam Hr. Professor, der heute guter Laune zuerst durchs Fenster die Hühner betrachtete u. dann mir nachfragte. Er war mit mir zufrieden, u. erzählte uns dann Vielerlei ungeliches . Zuerst sagte er das man im Sam̄erinnern keinen Geruch, habe, weil die Schleimhäute mehr eingetroknet u. deßhalb die Nerven mehr auf der Oberfläche seien. Er erklärte mir dann, wie es sich mit diesen Häuten verhalte, wie sie beim Pfnüsel entzündet, dann aufschwellen auch beim Grung die Loftröhre verengen. Dann kann man auf den Rübel karten u. seine Krankheit, u. Hr. P. sagte, es sei seltsam, wie in letzter Zeit so oft solches starke Bluten v. Blutegeben vorkomme. Gottlob sei ihm kein Fall vorgekommen, aber früher habe man nur gar nichts davon gewußt. Es gebe auch so genannte Bluter, deren Blut man nie bestillen könne. Mit einen Wegmannknaben habe er einmal eine solche Erfahrung gemacht, dann kam er auf die Operationen u. sagte fast d. unangenehmste seien Aderlassen u. Zahnausziehen, auf dr. Testaluh u. er erzählte uns noch viel recht interessantes. Hr. Cloetta sei zurück. Mag habe immer Heimweh, er hätte ihn gern besucht, aber noch nicht Zeit gehabt, da er lezthin mit Frau Professor in Mollis gewesen. (…)
D
21. August 1863. Gottlob hatte ich doch eine bessere Nacht, aber der Kaffe, den mir Mama brachte war gar nicht nach meinem Geschmack, so daß ich morgen wieder Milch trinken will. Nachdem ich dann gelesen und gebetet, stand ich bei Zeiten auf, da Mama mein Zimmer machen mußte. Herr Professor kam heute wieder u. nachdem er mich über Alles gefragt, fragten wir wieder einmal nach Anna. Er sagt, es gehe ordentlich, doch finde er immer, sie gehöre jetzt in ihr Haus u. zu ihren Kindern. Von zutrauen könne noch keine Rede sein. Jedenfalls habe ihre Natur schwerer sich zu fügen, als die mancher Andern, u. er finde immer die Oberst habe keinen heilsamen Einfluß auf sie, weil sie sich dort nur mehr u. mehr in ihren Schmerz vertiefe. Wenn es dazu käme, daß er u. wir diesen Herbst noch ein wenig nach Baden gehen, könne ja Anna auch kommen. Jch war sehr verwundet über diese Rede mit der er uns verließ, Mama war erschrocken, daß sie keine Ruh hätte. (…)
D
24. August 1863. (…) Knabenschiessen! Heute ist der Schreckenstag für Mama, den sie nur meinetwegen jetzt wieder zu Hause zubringen muss. (…)
D
31. August 1863. (…) Herr Professor Hasses sind im Tagblatt. Mama will jedenfalls mit ihm über mich reden, und wir wissen nur noch nicht, auf welche Art es am Besten ist. (…)
D
1. September 1863. (…) Eben waren wir dann an d. Nussschnitten als Herr Hasses angefahren kamen, Herr u. Frau mit beiden Töchtern. Jch wollte mich zuerst gar nicht zeigen, u. überließ es Mama, die Sache nach Guntdünken einzurichten, da sie im Sinne hatte, sie jedenfalls einzuladen. Als sie aber fortgingen, rief mir Mama, da sie durchaus nichts annehmen wollten, müsste ich sie doch auch sehen, u. ich kam hinunter, wo ich den Herrn sehr gealtert aber freundlich, die Frau wie früher und die älteste Tochter, die Braut ist, gar aller liebst fand. Das jüngere Mädchen ist noch klein. Herr Hasse sagte mir gleich, er würde noch einmal hierher kommen, um mit mir zu sprechen, worüber ich dann doch in Grunde sehr froh bin. Wir begleiteten sie zum Wagen u. ich mußte mich nur über die nette, sanfte und so bescheiden aussehende Tochter freuen. (…)
(…) Herr Professor kam mit Annas zwei größern Kindern. Er sah aber sehr übel aus und war trübe gestimmt u. nicht sehr eingehend. Mama verklagte mich, daß ich gesagt habe, ich möchte am liebsten irgendwo versorgt werden, was er auch nicht gern zu haben schien. Dann sagte er noch am Ende, er habe gar nicht daran gedacht, daß es mit Baden f. einmal nichts sei, indem er mich nicht in das Getümmel des Kreuzbühls hinein schicken wolle. (…)
D
2. September 1863. (…) ich freue mich fast auf Herrn Hasse, ob er nicht etwas mit mir anzufangen weist. Jch möchte am liebsten, er könnte mich ganz mit sich fort nehmen. Ich sehne mich einmal aus allem Hinaus, müßte aber doch bei Jemand sein, vor dem ich Respekt haben kann. Ich freue, Nanny kam bei Zeiten, wir sassen auf der Zinne, dann Frau Cornatz, der ich den Thee machte. Eben war dann Alles im Freien, u. die Frauen kamen gerade ins Haus zurück, als Papa kam! Herr Professor Hasse sei da! daß mir diese Nachricht recht in d. Beine fuhr kann man sich denken. Mama nahm zwei Lichter, u. ging schnell zu ihm, bald rief sie dann auch mir! Er empfing mich sehr freundlich, u. ich dankte ihm vor Allem f. seine Güte noch einmal für mich hierher zu kommen, da seine Zeit sonst sehr zugemessen sei! Er sagte aber, es mache ihm Freude mit mir zu reden, und mir vielleicht doch einen guten Rath geben zu können. Mama fragte dann, ob sie mich allein mit ihm lassen solle, er stellte es ihr ganz frei, u. ich war natürlich froh, als sie dablieb. Jch mußte mich dann aufs Ruhebett setzen, und er zog seinen Sessel ganz nah u. fing mich über meine Krankheit zu befragen. Jch sei wohl bald nach seinem letzten Besuche bei uns, von dem er noch mit rechter Freude sprach, krank geworden, da ich ihm den Tag zu nennen wußte, verwunderte er sich, wie es noch so plötzlich angegriffen, u. Mama erzählte ihm dann ausführlich den Anfang der Krankheit. Wie ich acht Tage Fieber gehabt, dann aber wieder aufgestanden, aber gleich ganz den Appetit verloren habe. Da von da an, der Schmerz auf der Seite während einigen Wochen sich immer vermehrt habe, so habe Herr Professor da gegen einschreiten wollen, mich ins Bett zu legt, Blutigel, Überschlage, Einreibungen u. zuletzt Jod verordnet, aber Alles vergeblich. Herr Hasse wünschte nun zu wissen, wo dieser Schmerz sei, und ich mußte aufstehen, und er drückte recht tüchtig, und ich konnte ich ihm den Fleck gut zeigen, natürlich fand er ihn nicht so deutlich, wie wenn ich im Bett gewesen wäre. Er fragte dann nach der Art des Schmerzes, ob er immerwährend sei, aber mich im Liegen, Stehen u. Gehen verhindere, und ich erzählte ihm Alles so genau u. ruhig als möglich. Dann fragte er, mit was man mich später behandelt habe, was ich auch Alles genau sagen konnte u. er sagte nichts darüber, und fragte dann, wie es eigentlich in meinem Magen sei, ob ich Schmerzen und Erbrechen habe. Ich sagte ihm letzteres gar nie, Magenkrämpfe ziemlich oft. Er fragte wo es mir denn weh thun, u. ich zeigte ihm die Mitte der Herzgrube. Bei diesem Anlasse bemerkte Mama, Herr Locher sagte, mein Magen sei nicht eigentlich krank, sondern mehr durch die andern Streunzen in Mitleidenschaft gezogen und jetzt die Magenmorgen sehr angegriffen, was auch Herr Hesse nicht verneinte. Verwundert über das Verstopft sein, fragte er, was man mir für Klistiere gebe, kalte oder warme, und billigte ganz Mamas Verfahren darin! Sie sagte dann die Magenschwiegen und die Schmerzen auf der Seite seien immer in Verbindung mit der P. u. er erkundigte sich auch danach ganz genau, sowie auch als ich ihm sagte, die natürliche Öffnung mache mir immer wieder schlecht, u. wirken übel auf den Magen. Er fragte dann noch besonderens nach dem Magen, und ich erzählte ihm wie ich gar so argen Eckel gehabt im Anfang vor Allen Menschen Sheißen u. s. f. u. wie ich dann so häßlich geträumt habe. Er sagte dann lachend, um die Träume gebe er nichts, entschuldigte sich dann aber gleich, ich solle ihn doch ja nicht verstehen. Er fragte mich dann, warum ich eigentlich nicht essen könne u. ich sagte, theils weil ich gar keinen Appetit habe, theils, weil mein Hals so trocken sei und mir Alles kleben bleibe. Ich habe von Zeit zu Zeit kleine lechen erst letzthin einen tüchtigen Hrrß gehabt, der aber keine weiter Folgen hinterlassen auch die Schmerzen in d. Seite nicht vermehrt habe. Vor zwei Jahren habe ich dann tüchtigen Skorbut u. Entzündung im Hals gehabt, seither beide früh Jahre sehr starke Drüsen. Er sagte das nicht halle ihm jetzt am Meisten, befühlte so gleich meinen Hals u. sagte, sie seien auch jetzt noch ziemlich bedeutend, ob sie mir stark weh thäten. Als er hörte, daß ich Fischthran vertrage, sagte er, damit müße ich so bald als möglich wieder beginnen. Am besten aber mit Anfang November, u. den ganzen Winter damit fortfahren. Mama sagte ihm dann, daß ich einige Jahre früher Schleinfieber u. Unterleibsentzündung gehabt, eben auch in d. untern Theilen, ich sagte aber dann sei ich doch immer wieder gesund geworden, aber dieser Zustand sei mir doch gar zu zemmlich u. ich habe fast keinen Muth mehr. Er sagte dann aber, ich dürfe die Hoffnung nicht fallen lassen, auch er sei lange krank und sehr heruntergekommen gewesen, und da sei ihm Alles so schwer gewesen, sein Geschäste überhaupt sein ganzes Leben, aber Gottlob sei es doch jetzt besser, u. er sage mir, ich dürfe mich mit seiner Erfahrung trösten! Hingegen müsse ich mich so viel als möglich zusammen nehmen und wenn ich auch gar nichts essen möchte, so solle ich es mir doch auferlegen. Daß nach so langem Kranksein u. ohne Nahrung um vieles nir vob geworden sei, dürfe mich weder betrüben noch verwundern, er begreife es nur zu gut. Sbar haufagte ihm Hr. Prof. Locher hatte uns schon gesagt, es seien viel alten Arten einzelne Krankheiten noch nie vorgekommen, u. können ihnen nie vor, so könne auch die Meinige sein. Herr Hasse sagte aber, er verstehe jetzt den Zusammenhang meiner Umstände ziemlich klar, es sei wahrscheinlich eine tief liegende Entzündung, die immer noch nicht geheilt, sei, einzig die völlige Appetitlosigkeit begreife er nicht. Wenn man jezt seinen Rath wissen wolle, so wäre seine Meinung, mich im Frühjahr so bald als möglich, schon Ende März nach Kissigen zu transferieren. Wenn ich das Fahren noch nicht gut vertrage; so solle man kleine Tagreisen mit mir machen; Dort müsse ich dann Rakozi trinken u. fleißig Salzbäder nehmen, und er glaube gewiß, das werde mir gut thun. Mama dankte ihm sehr für diesen Rath u. auch ich war recht froh, einmal etwas bestimmtes zu wissen. Dann fragte er noch nach meinem Essen, ob ich nicht Eier oder Fleisch oder Trauben essen könnte Ich verneinte Alles dieses, und sagte immer lieber trinken als essen. Ich habe getreulich meine Arzneien genommen, das habe Hr. Professor mir selbst bezeugt, jetzt trinke ich Milch u. ein wenig Wein, aber essen würde ich gar nicht, wenn ich nicht müßte. Es empfahl dann aber Mama noch sehr mir täglich, da ich dieß am liebsten habe, einen guten Brei kochen zu lassen Mehlbrei u. s. f. oder dann anstatt Milch Fleischbrühe mit Sugo od. ähnlichem. Dann solle sie mir Milken Bohen, u. ganz weich verreiben, und wenn mir der Honig nicht zuwider sei, fleißig Honig zu essen geben. Sobald dann die Jahreszeit da sei, müsse ich Caviar essen, u. wo möglich auch Austern. Auf Sulz halte er nicht sehr viel. Die Milch müsse ich, wie den Fischthran, jedenfalls den ganzen Winter trinken sonst komme ich noch ganz elend, u. wenn es mir möglich wäre später im Morgen ein Täßchen Caffee. Mittags Brei u. Nachts noch einige Löffel davon. Mama u. ich dankten ihm sehr für diese Räthe, die wir gewissenhaft befolgen würden Schwe, Milch, Caffee, BreMilkenHonig, Caviar, Austern u. Kissingen. Dann ermahnte er mich noch einmal so gut u. freundlich doch ja, Muth zu fassen und mich an seiner eignen Erfahrung aufrecht zu halten, das Leben scheine ... ich so heruntergekommnen, Zuständen gar trüb u. schwer, doch komme es dann mit Gottes Hülfe oft auch wieder besser, u. diese Hoffnung habe er auch bei mir. Da mich Mama schickte, um die Herren zu holen, so dankte ich ihm recht herzlich für seine grosse Güte, und er gab mir freundlich u. den Fischtran solle ich nicht vergessen Nachts zu nehmen, nur 1 Löffel, damit die Hand, und sagte, es würde ihn freuen, wenn sein Rath mir nützlich wäre; er hoffe ich werde ihn dann doch darüber berichten. Nur ungern ging ich dann ins Wohnzimmer zu Frau Corneh, während H. Stokar u. Papa noch zu ihm gingen. Als ich ihn aber dann bald darauf fortgehen, hörte, ging ich nochmals hinaus, dankte ihm, u. er gab mir wieder die Hand. Jch sagte ihm dann noch ich hätte v. seiner allerliebsten Tochter geträumt, u. er sagte was ich doch für Träume habe, es freue ihn nur wenn sie mir keinen Eckel verursacht habe. Nach der fich nicht vergessen, daß er mich fragte, ob mir das Stehen Schmerzen verursache, es sei ihm schon gestern meine gebückte Haltung aufgefallen. Jch sagte aber, es sei eher eine üble Gewohnheit, weil ich oft so müde sei, ich wolle mich auch darin zusammennehmen. Jch ging dann als er fort war noch einen Augenblick zur Gesellschaft, aber bald fing mein Kopf an so trümmlig zu werden, daß ich hinauf ging u. auch dann nicht mehr zeigte. Jch hoffte Mama würde mich aufsuchen, und war fast ein wenig betrübt, als es nicht geschah. Wir konnten dann Nachts nicht mehr viel zusammen reden: ich hatte auch eine fahtschlafliche Nacht, da mich das Erlebniß des Abends in Bette sehr umtrieb, was ich sehr bereute eins u. andres nicht gesagt zu haben. Überhaupt war dieser Besuch ein rechtes Ereigniss in meinem Leben und ich kann nur den lieben Gott bitten, daß Er ihn Früchte bringen lasse.
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3. September 1863. Am Morgen war ich gar zu aufgeregt und bange, die gestrige Unterredung gibt mir zu schaffen. Ob wohl Hr. Prof. etwas an mir versäumt hat, u. wir uns schon früher an Hrn. Hesse hätten wenden sollen! Und ob dieser mich besser behandelt, und mir mehr imponiert u. ernstlicher zugeredet hatte. Dann denke ich aber auch wieder, es sei Gottes Fügung gewesen, dass es so gekommen ist, und bin dankbar dafür. Wir haben H. Professor nicht kränken müssen, u. doch selbst mit Herrn Hasse reden können. Er hat Mama versprochen, selbst zu Hr. Locher oder Cloetta zu gehen, und dort zu fragen: Aber was ist doch mit der Pauline Escher, wie ist die sehr untergekommen? Dann wolle er, ohne uns zu verrathen, dem einen oder andern seine Ansicht darüber mittheilen. Das ist ja so gut u. freundschaftlich von ihm, daß wir wirklich nicht genug danken können. Wir sprachen darüber wie es am Besten zu bezahlen sei, u. fanden am Hübschesten, der Tochter eine Aussteuer zu schicken, der ich eine Malerei u. ein Briefchen beilegen darf, was mir Freude machen würde. (…)
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6. September 1863. (…) Zehn Jahre seit Elises Hochzeitstag vergangen, und ich hätte ihr so gern heute eine kleine Überraschung gemacht, wenn mich die Furcht vor Nannny nicht ein wenig abgehalten. (…)
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9. September 1863. (…) Auch war mit dem Essen Hr. Professor gekommen, und hatte ausgesagt, es sei sein Wunsch, daß ich noch für einige Tage nach Baden gehen sollte. Er werde nächste Woche auch hingehen, u. ohne malparable zu sein, glaubt er wirklich ein wenig Zerstreuung könnte mir noch gut thun. Frau Brunner werde sich gewiß mit mir alle Mühe geben. Mir war dieser Bericht sehr erschrekend, da ich glaube es nützt gar nicht viel, u. auch Mama geht nicht gern, doch durften wir uns nicht wi seng obschon er uns Bedenkzeit gibt. Aber Alles schlug mir auf d. Magen vom Kronenthor fuhr ich dann allein heim, da Mama noch Besuche machte; es war mir aber ganz unheimlich dabei. Noch nicht lang war ich dann aber zu Hause als Frau Stathalter Wyß kam, was mich sehr freute Sie sprach mir so gut u. freundlich zu, erzählte mir vielerlei v. ihrem Aufenthalte, u. blieb lange bei mir. Als sie dann eben fort wollte kam Mama angefahren u. lud sie zum Thee ein, was sie dann auch gern annahm. Um mich auszuruhen, ging ich dann ein wenig um bereit zu machen. Sie blieb bis nach 7 Uhr, u. ihr Besuch hatte mich sehr erfreut, nur war ich dann gar zu müde und aufgeregt, u. mußte mich ein wenig ganz allein zurückziehen, um mich noch vor der Suppe erholen zu können. Ach wie wenig vertrage ich doch. (…)
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11. September 1863. (…) Als dann Mama kam fragte H. Professor gleich, ob unser Beschluß gefasst sei, und als Mama sagte, ich möge nicht recht daran, u. glaube es nütze nichts, widerlegte er es mir so gut als möglich. Es habe gewiß im Schiff noch nicht viel Zürcher, wenn ich wolle, könne ich am Bettag auch in die Kirche, sie sei ja so noch, und dann werde man mir gewiß Alles so behaglich als möglich machen. Zuweilen werde dann seine Frau, zuweilen er selbst mich zum Gehen abholen und er sei doch versichert, daß es mir ein wenig gut thun würde. Auch die Bäder seien ja so herrlich, u. Kochen könne man mir, was ich wolle. Eben wollte, er uns dann noch v. Frau Landammann erzählen, u. wir v. L. Steffen das Frau Orelli eintrat u. es noch einen lustigen Schaft mit ihr gab. Er fragte sie nämlich, seit wann sie sich so hübsche Schimmelchen angestellt hat und nach einigem Besinnen antwortete sie, weil ihr die seinigen so gefallen hätten! Als er dann erwiderte er habe ja keine, stellte sich das Misverständniß heraus, daß Frau Orell geglaubt hatte, er rede von ihren Locken. Wir mußten natürlich Alle sehr lachen, u. Herr Professor nahm freundlich v. uns Abschied. (…)
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15. September 1863. (…) Da kam aber zuerst, als ich eben auf der Winde war, Frau Oberst Muralt angefahren. Ich nahm mich zusammen recht artig mit ihr zu reden. Da war aber eins ihrer ersten: Sie gehen also nach Baden, aber wissen Sie schon, daß er tief im Bett liegt Hr. Professor. Mir wurde es fast schwarz vor den Augen vor Schreck; und dazu konnte ich eigentlich nichts Nähres aus ihr heraus bringen. Sie blieb nicht lang, dann kam aber bald Frau Oberst Ziegler, die sehr lange da schwatzte. Nachher Mama welche v. H. Professor noch nichts gehört hatte. Ich war natürlich sehr unruhig, und die Angst vor einer ernstlichen Krankheit schlug mir ganz auf d. Magen. Ach ich habe doch Hrn. Professor so lieb. Er war immer so gut u. geduldig mit mir, u. ich kann nur d. lieben Gott für ihn bitten, um geistlichen u. leiblichen Segen. Wir haben nun auch gar keine Lust nach Baden zu gehen, u. doch ist Alles bestellt. (…)
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27. September 1863. (…) Jch zog mich dann gleich rasch an, Papa kam aber um 11 Uhr nicht, hingegen dann trotz des Regens um 12 Uhr. Vorher aber hatten wir noch ein Besuch, v. Frau Orell im Thalhof, welche plötzlich im Sadhof erschienen ist, gewiß Herr Professors willen! Sie war etwas schaden froh, daß er nicht mit uns habe hier sein können, gestern sei berichtet worden, er komme für einmal doch gar nicht, was ihr selbst wohl am liebsten ist. Sie quälte mich dann recht, indem sie mich immer wieder fragte, ob er mir nicht mangle, so daß mir am Ende fast Tränen in die Augen kamen. Zuletzt sagte sie dann noch es freue sie, daß es so gut gehe, und daß man nun doch gesehen habe, daß ich auch ohne Arzt fort kommen könne. Wie doch die Leute Freude haben einander Unangenehmes zu sagen. Der arme Herr Professor kann sich wieder gar nicht erholen! Wir wollen ihm nun doch eine Schachtel Fische schicken. (…)
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10. Oktober 1863. (…) Jakob der Bericht daß es Hr. Professor ordentlich gehe, u. daß er über die Trauben große Freude gehabt habe, was mich auch sehr freute u. aufmunterte. O, könnte er doch bald wieder kommen!
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12. Oktober 1863. (…) Herr Cloetta! Er blieb sehr lang, war aber so ungefreut, daß ich nachher nur weinen mußte. Von mir sagte er fast gar nichts, aber wieder v. Ragaz, was mir auch unangenehm ist, von H. Professor, daß es wohl mit ihm ein ganzes Vierteljahr dauern könnte, und dann noch v. zwei Jungfern über deren Zustand ähnlich dem meinigen er gar so gleichgültig redete, u. wie wenn alles nur Einbildung wäre. Ach mein lieber Herr Professor wie sehr mangelt er mir doch. Jch hatte einen recht traurigen Abend u. betrübte damit auch die liebe Mama, die sich aufs ruhig sein gefreut hatte. (…)
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16. Oktober 1863. (…) Nanny d. Hr. Stokar kamen dann v. Hr. Pfarrers. Beide waren artig, aber ich hatte doch nur wieder das Gefühl gar nicht in Gesellschaft zu passen, was mich traurig machte. Wie gut hat es doch Nanny immer liebens würdig u. glücklich sein zu können. (…)
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19. Oktober 1863. Mama in d. Fraunmünster. Am Morgen herrlich ruhig, beim Essen mit Marie Verdruß wegen der Köchin u. Hüfner. Auch Nachmittags war sie gegen mich sehr grob und böse, Mama kam dazu u. ein Wort gab das andern, u. am Ende sagte ihr Mama auf. Es that ihr u. mir zwar sehr leid, da wir Marie lieb gehabt, u. viel für sie gethan hatten, seit sie v. Frau Criprod gekommen ist, aber so dürfen wir uns doch nicht länger begegnen lassen, immer ist sie launig, u. bemerken darf man ihr gar nichts mehr. (…)
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21. Oktober 1863. (…) ich flickte soviel als möglich aber der Abend wollte gar nicht vorbei gehen so war mir fiebrig u. trümmlig. Jch aß noch ein wenig Gries, aber als ich dann ins Bett kam war es in meinem Körper wie lebendig, ich konnte keinen Augenblick still liegen, fror zerst, u. war dann wie im Feuer, kam aber nicht in den Schweiß. Ich hörte jede Viertelstunde schlagen, u. glaubte den Morgen gar nicht erleben zu können! Wie glücklich war ich dann über den ersten Hahnenschrei und gar als dann die liebe Mama hinauf kam, nach der ich so oft in Gedanken geseufzt und gerufen. Es war mir aber recht schlecht, wen ich aufstehen wollte drehte sich Alles und im Magen war mir wieder so übel u. schlecht wie lange nicht mehr. Mama wollte zuerst zu Herrn Cloetta schicken, da wir doch mit einem Weilchen bangues zu Herrn Professor schickten. Da er aber erst gestern Abend dagewesen, und zwar ziemlich eingehend u. artig, u. auch v. Hrr Professor erzählt hatte, so mochten wir doch nicht gern. Er hat erst gestern meine Zunge um ihre rothen Punkten gesehen, die ihn gar nicht überraschte. Doch wie gesagt, war er viel artiger gewesen als das letzte Mahl. Auch gegen Abend wolle Mama noch schicken, da es mir beim Aufstehn ganz übel wurde aber am Ende ließen wir es doch sein, ich ging gleich wieder ins Bett und es that mir nur leid, daß die liebe Mama jetzt ihre Wäsche so ganz allein fertig machen mußte. Und doch bin ich froh, wenn man mich mir allein lässt. (…)
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22. Oktober 1863. (…) Am Morgen war ich dann aber doch sehr müde und immer noch fiebrig, so daß Mama f. Hr. Cloetta schickte, der dann auch schon vor dem Essen kam. Er war jezt recht mitleidig, fühlte in mir Mund u. glaubt es müsse aufgehen, da es mir jetzt inwendig weher tut. Er sagte, ich habe ziemlich Fieber, u. müsse ganz ruhig bleiben. Muth machte er mir gar keinen, indem er mir noch erzählte, wie Herr Professor eine so schlechte Nacht gehabt, daß er jetzt selbst glaub,e es müßte im Unterleib etwas nicht richtig sein, was Hr. Prf. Sets behaupte. Das gab mir natürlich d. ganzen Tag viel zu denken, und Nanny vermehrte dann Abends noch meine Unruhe, indem sie immer von Aufgeben des Berufes sprach! Ach wie traurig das für uns alle, auch Mama wäre es zu leid ihn in ihren alten Tagen nicht mehr zum Arzt zu haben. (…)
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24. Oktober 1863. (…) ich las und betete unterdessen für mich, u. blieb dann ganz ruhig bis um 1/2 12 Uhr Herr Cloetta kam. Er war heute recht gut, verschrieb mir eine Arznei u. hofft, es werde bald besser gehen. Er erzählte mir viel v. Hr. Professor, der nun 2. Nächte ordentlich geschlafen habe, u. wenig Neus nicht schlimmer sei. Doch fürchte er nun selbst, vor dem Frühjahr komme er nicht aus dem Hause, und er glaube er werde dann ein ganz andrer Mensch geworden sein. Auf meine Befürchtung aber, ob er dann auch wieder zu seinen Patienten könne, beruhigte er mich ganz. Er wüßte nicht warum nicht, und müßte er jährlich 2 mahl aus ruhen. O wie dankbar war ich für diese Nachricht, wie gern will ich mich gedulden, wenn ich nur für meine l. Eltern wieder besser Aussichten habe. (…)
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26./27. Oktober 1863. (…) Dazu haben wir rechten Kummer mit Marie, die nun ihren Kopf gesetzt hat, Fortgehen zu wollen, obschon ich heute noch recht eindringend zu ihr redete. Jch hatte mir vorgenommen, ihr die Sache noch einmal ans Herz zu legen, da wir doch nicht gern ändern, wenn es irgend wie angeht. Aber ich redete wie an einen Stein, ohne Antwort zu bekommen. Sie gab Mama ihr Büchli, welches diese dann auch einschrieb. Dieser Nedenk betrübte uns sehr, da wir zudem glauben auch die Köchin werde mit ihr gehen, da sie in einem merkwürdigen Verhältnis sind, hingegen haben sich zwei Partheien Lehleute gezeigt. (…)
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28.Oktober 1863. (…) als Mama beim Mittagessen v. diesen 3 verlorenen Jahren sprach, war es mir gar zu traurig u. ich mußte weinend vom Tische. (…)
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1. November 1863. (…) Nanny erzählte wieder gar so traurig v. Hr. Professor, wie ihm jetzt H. Kienast wache, u. macht mir wenig Hoffnung, was mich dann gar sehr betrübte u. ich nahm mich dann aber um Mamas willen zusammen. (…)
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2. November 1863. (…) Er rieth mir Allerlei, aber nichts so recht bestimmt, und erzählte mir dann viel v. d. l. Hr. Professor, der letzten Samstag den schlimmsten Tag gehabt, aber seither doch eher besser sei und auch selbst wieder mehr Muth habe. Er schwitze jetzt fast immer, bade öfter, trinke Fideriserwasser, u. habe jetzt doch bessere Nächte. Auch nehme er wieder etwas mehr Interesse am Leben. O wie dankbar war ich für diesen Bericht, nach dem gestrigen schlimmen. Wie wollte ich mich freuen, wenn er wieder besser werden könnte! Von Nachtwachen v. J. Kinnaßt sei gar keine Rede. Das würde H. Cloetta gar nicht zugeben. Nanny u. Caspar haben wieder Streit wegen Hunden, was uns sehr Mühe macht. (…)
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3. November 1863. (…) Nach 11 Uhr kam noch Marie Ribi mit ihrem Kinde, die morgen nach Genf geht, und als wir eben essen wollten Hr. Professors Kutscher mit einem Gruße v. ihm, u. einem schönen Bouquet v. Rosen. Reseda u. Cyklamen, das mir gar große Freude macht, als ein Zeichen, daß er doch noch an mich denkt. Frau Professor ließ dazu sagen, er habe eine recht ordentliche Nacht gehabt. O wie glücklich war ich, wie danke ich meinem lieben treuen Heiland. Jch schickte sogleich ein Veilchenbouquet zurück. (…)
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5. November 1863. (…) Amalie war sehr gut u. freundlich u. erzählte mir hauptsächlich v. Hrn. Professor. Jm Anfang wollte sie zwar noch nicht viel v. Besserung wissen, gab aber dann doch zu, daß er eher einen Schritt vorwärts gekommen sei. Er habe ihr heute gesagt, sie solle mir doch aufs Neue für den Nachtrock danken, der ihm jetzt gar so gute Dienste leißte u. habe mir zulezt nochmals viel Grüße geschickt. Er mache sich eben immer gar trübe Gedanken über sein Befinden, daß er Hr. Direktor Pestaluz ähnlich fürchte, er weinne ist und sie könne dann nichts, als ihn stille bei der Hand halten. Sie sagte Frau Orell habe ihn besuchen wollen, aber sie glaube, ich dürfe dann noch viel eher zu ihm, da ich jetzt seine Umstände besser verstehen, und ihm schon zu begegnen wußte. Er sei jezt wie ein recht alter Man̄ in seinem Lehnstuhl, die Haare seien ihm aus gegangen und er habe immer ein kleines schwarzes Käppchen auf d. Kopf. Ich fragte dann Amalie noch, was ich ihm wohl arbeiten könnte. Sie wußte v. nichts, will sich aber erkundigen. Auch versprach sie mir, wieder einmal zu berichten u. auch zu mir zu kommen. Sie war sehr guten freundlichen Humors und sagte beim fort gehen, ich will Vater nicht sagen, daß Du den Brüeli gehabt, es würde ihn nur ängstigen. Die größte Freude machst Du ihm, wenn er gute Berichte v. Dir hören kann. (…)
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12. November 1863. (…) Nachmittags ging sie aus und ich arbeitete am Kissen, bis gegen 4 Uhr Frau Abegg kam. Jch mußte sie empfangen u. sie sagte, Marie sei bei ihr gewesen u. möchte doch gern wieder bleiben; sie habe sie gebeten, für sie zu reden u. zu handeln, da es sie selbst aufhäme. Jch solle nun ein gutes Wort bei Mama einlegen. Wir hatten natürlich beide Freude und mir ist wirklich ein Stein v. Herzen, aber Mama findet doch ihre Pflicht selbst mit Marie zu reden, u. that es dann auch Abends noch, als wir allein waren. Marie gab aber kurzen u. unfreundlichen Bescheid, so daß Mama wieder fast unschlüssig wurde. (…)
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13 November 1863. Am Morgen kam doch Marie zu meinem Bett, um zu sagen, daß sie wirklich gern wieder bleiben würde, u. ich sprach ihr noch mit ein paar Worten zu, sich doch wieder recht zusammen zunehmen. Gott gebe Seinen Segen dazu, auch der Köchin, die wir nun auch behalten. Ich betete u. dankte dann recht aus Herzensgrund. (…)
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23. November 1863. (…) Nanny hatte mich auf d. Abend mit Tante Escher eingeladen u. um Mama Freude zu machen, fuhr ich hin, obschon das Wetter sehr schlecht war, der Abend verging ordentlich, man führte mich früher heim, u. ich blieb sogar noch zum Nachtessen auf, doch schlief ich dann schlecht, u. erwachte um 12 Uhr an starker Übelkeit. Jch glaube ich habe schon etwas zu viel gegessen!
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7. Dezember 1863. (…) Mama ging aus, Hr. Cloetta kam gegen Abend u. verschrieb mir Pulver. Heute war er ängstlich mit Hrn. Professor, dessen Kräfte trotz allem Essen sich nicht heben wollen. Er sagt im neuen Jahr hoffe er doch auf Besserung, sonst wäre es dann bise und er müßte andere Vorkehrungen treffen. Er erzählte Hr. Prof. habe letzthin gesagt, er wolle nun nicht mehr praktizieren, 40 Jahre habe er es gethan u. jetzt sei es genug; aber als er ihm dann vorgestellt, womit er sich dann beschäftigen würde, habe er es doch zugeben müssen, daß es nicht gut ginge. O mein treuer Gott im Himmel, gib Du dem Meden Kraft, du kannst ja Alles. (…)
D
19. Dezember 1863. (…) Mittags aber kam dann Elise ganz allein mit d. Bericht, es gehe Frau Landammann schlimm, Caspar könne nicht weg v. ihr. Elise ging dann auch nach Tisch bald fort, u. Nanny Abends z. J. Keller, v. wo sie auch nicht mehr zurückkam, da Herr Stokar Husten u. Flußfieber hatte! So hatten wir dann einen recht getrübten. Tag, u. waren froh, als uns Cecile Abends ein wenig zerstreute. Elise kam dann noch, war aber ganz bleich, u. glaubt das Ende sei nahe! (…)
D
23. Dezember 1863. (…) Gottlob und, dank war ich am Morgen wieder gestärkt u. heiterer. Hilf Du mir o Gott, mit Ergebung tragen, was Du mir auferlegst. Als ich auf war, arbeitete ich dann u. war gar sehr erfreut als man gegen Mittag mir mein Arbeits-Körbli v. Hr. Professor zurückbrachte, u. dazu ein Billet v. seiner lieben Hand, das ein allerliebstes Dankgedicht enthielt. Der letzte Vers schliesst mit den Worten: Im neuen Jahr auf Wiedersehn! Gott gebe, daß es so sein möge, ich will meine Freude mässigen, aber dieses Verschen scheint mir doch ein ordentliches Zeichen, u. zu dem sagte auch seine Magd, es gehe ihm d. letzten Tagen ordentlich. (…)
(…) Mathilde Escher besuchte mich u. redete auch v. Hr. Professor, den auch sie für aufgegeben hält. Sie möchte so gern zu ihm, um ihm v. Geistlichen zu sprechen, sagte auch, ich solle ihm etwas schreiben, da man ihn doch nicht so sterben lassen könne. (…)
D
24. Dezember 1863. (…) Beim Essen gab es dann aber leider Gott einen traurigen Aufritt, der uns die ganze Feststimmung verdarb. Papa wurde böse wegen geräuchertem Lachs u. Mama u. besonders ich besänftigte ihn nicht, sondern machte ihn nur noch viel heftiger. Jch ging dann weinend v. Tisch in mein Zimmer u. zeigte mich nicht mehr, was dann Mama noch viel mehr betrübte. Elise kam noch vor Abend sehr betrübt, Frau Landammann werde die Nacht nicht überleben. (…)
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26. Dezember 1863. (…) Frau Landamman 1/2 3 Uhr gestorben. (…)
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9. Januar 1864. (…) Ach wie mangelt mir ein Arzt, vordem ich rechten Respekt habe, wie mangelt mir der liebe Hr. Professor, der es so gut, mit mir meinte. Ach, wie scheint mir oft mein Leben so verfehlt u. leer, u. die Zukunft so düßter. Ich mußte viel weinen, u. machte der lieben Mama rechte Sorgen. Nachmittags müde, schlafen, nichts thun als Photographien ordnen. (…)
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13. Januar 1864. (…) Nachmittags ging Mama mit Papa in d. Rechberg, zu mir kam Frau Statthalter, die sehr artig war, und mit der ich auch über so vieles reden konnte. Oft scheint es mir, als ob ich doch nach u. nach dazu käme, meinen Heiland inniger zu lieben, aber dann kommt es mir wieder vor, als ob Alles nur Gefühle seien, die ich doch mit der That u. dem Leben nicht zu beweisen im Stand sei. O mein Heiland halte Du mich, laß mich nicht verloren gehn! (…)
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15. Januar 1864. (…) Mit den beßten Vorsäzen stand ich heute auf, da mir der Kindertag immer einer der schwierigsten ist, brauche ich besondere Hülfe, um mutig u. stark zu sein. (…)
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17. Januar 1864. (…) Bis hierher hat uns der Herr geholfen! Heute ist nun der 4te Jahrestag meines Krankseins und noch bin ich da. Noch hat Gott Seine Hand nicht v. mir abgezogen, sondern mich treulich beschützt und erhalten, und mir immer u. immer wieder neue Beweise seiner Güte und Treue gegeben! Ihm sei Lob und Dank! Er wolle noch Alles zu Seiner schoe hinausführen, und mich mehr u. mehr erkennen lassen, daß ich nichts bin, als ein armer unmündiger Sünder, daß aber so stark u. reich genug ist, mich bei Gott zu vertreten. Er erhalte auch meine lieben Eltern u. meinen treuen, lieben Arzt!
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8. Januar 1864. (…) O wie freue ich mich auf morgen, wo Mama zu d. lieben Frau Professor gehen u. mir dann einmal bestimmte Berichte v. Hr. P. bringen wird. (…)
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19. Januar 1864. Leider war ich am Morgen wieder sehr müde u. um mich zu ermuntern, fing ich an Verse aus meinen Liederbüchern zu suchen! was mich dann so beschäftigte, daß ich Beten u. Lesen ganz darüber versäumte, u. dann richtig anstatt, dem gehofften glücklichen Tag einen recht traurigen, schlimmen hatte. Als ich nämlich auf war, wollte Mama noch einen Ankenhafen leeren, was mich sehr versäumte, so daß ich dann noch gar nicht angezogen war, als schon Frau Fehlmann kam. Jch mußte sie natürlich warten lassen, u. hatte sie dann kaum in mein Zimmer genommen, als Hr. Cloetta kam. Jch bat sie nochmals zu warten, u. ging zu ihm. Bald kam dann auch Mama, von mir wurde nicht viel geredet, v. Hr. Professor sagte er, es sei wenigstens nicht schlimmer, doch fühle er selbst noch keine Fortschritte. Dann fragte Mama nach Marie Bürkli u. ich hätte gern d. Anlaß benutzt, um hinauszugehen, war aber nicht gewandt genug. Als er dann endlich fort ging, blieb Frau Fehlmann noch lange bei mir, u. als ich ermüdet zu Tische kam, war Mama so böse, daß mir aller Appetit verging u. ich gar nicht essen konnte. Jch ging bald in mein Zimmer zurück, wo ich aber immer trauriger war. Und den Tag, auf d. ich mich so gefreut hatte, u. Mama Aufträge geben wollte. Ich konnte mich nun zu gar nichts entschließen, da ich dachte sie könnte es tadeln u. überhaupt ganz aus dem Gleise war, verbrachte aber meinen Tag recht trübe. Frau Escher im Brunnen kam, u. nachher Hr. Schultheß im Rechberg, aber auch da muß ich mich nur anklagen, daß ich ihm so oft widerspreche, und so wenig Lust und Antrieb z. Gebete habe. O mein Gott, mein Gott. Laß mich nicht über Vermögen versucht werden! Ach hilf Du mir kämpfen, erfahre Du mein Herz und bereite es auf Deine Weise! Als dann Mama Abends heim kam, brachte sie mir einen Gruß v. Hr. Professor, den sie gesehen hat. Aber in meiner traurigen Laune verstimmte mich auch das, daß ich nun immer noch nicht zu ihm darf, u. ihn doch so herzlich lieb hätte. Ich war recht böse u. unartig den Abend durch. So gern ich etwas v. Hr. Professor gehört hätte, konnte ich mich doch nicht überwinden, Mama zu fragen, sondern machte mir nur alle möglichen trüben Gedanken vom Verlassen sein, u. s. f. Jch ging dann auch schon bei Zeiten recht traurig zu Bette und wurde noch viel trauriger, als ich hörte, wie die liebe, gute Mama bei Papa sich über mich beklagen mußte, und über meine Selbstsucht. Umso trauriger ich bin, je böser werde ich! O mein treuer, guter Heiland ach verwirf Du Dein armes hülfloses Kind nicht!
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23. Januar 1864. (…) Nachmittags kam Frau Meiß u. Abends Hr. Stokars zum Thee, da ihr Verlobungstag war. Ich war im Anfang ein wenig verdrießlich, daß nun Nanny am Samstag wieder etwas Neues anfängt, dann gab es sonst noch wegen dem Engenweg u. Ottikers viel Worte, aber am Ende trennte man sich doch im Frieden, u. ich konnte einzig keine Milch trinken. (…)
D
27. Januar 1864. (…) Als ich dann auf war, war ich müde u. schwach, u. konnte nicht viel thun, u. als dann noch Papa um 12 Uhr die Nachricht v. Hr. Schönleins Tod brachte, waren meine Thränen wieder da, so daß ich gar nicht essen konnte. Ach alle die lieben freundlichen Leute gehen weg, und die Jungen werden mich nicht verstehen! (…)
Eben waren wir dann fertig, als noch Hr. Cloetta kam. Gottlob war er heute einmal recht eingehend u. artig. Ich klagte ihm recht über meine Noth, besonders die moralische, u. wie mir oft das Leben gar so schwer u. trüb erscheine. Er sagt, da könne er sich ganz leicht in meine Stelle denken, es sei wohl schwer zu tragen u. da weder kämpfen nütze nichts, nur soll ich mit d. Essen. m. Möglichsten thun! Er ging wirklich recht theilenhmend auf Alles ein, erzählte auch viel v. H. Professor, dem es im Ganzen ordentlich gehe, u. erzählte dann auch noch v. H. Schönlein, dessen Ende man vorhergesehen habe. Er blieb wieder lang.
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