28. März 1863
28. März 1863 (…) Als ich sagte wie Leid es mir oft thue, so wenig mit Papa reden z. können wegen seinem Gehör, begriff er (Herr Professor) auch das recht gut, und sagte, seit er es so arg im Arm habe könne er sich auch nicht entschließen z. Amalie zu gehen, wo er sonst fast Täglich gewesen sei; er habe sie seit 14 Tagen nie mehr besucht.
Nachdem wir dann nochmals nach seinem Arm gefragt, fing er plötzlich an, ob ich auch schon einmal in einem Findelhaus gewesen. Es sei ihm vor einigen Tagen etwas in die Hände gekommen, das er mir habe zeige wollen. Es war dieß ein kleines (Bimbel-unklar) mit einer elastischen Schnur u. d. Bildniß St. Vincent u Paul. Es sei dieß das Zeichen, das den kleinen Kindern gleich nach der Geburt fest gemacht werde u. (das man ein von Enden-unklar) kommen könne! Er erzählte uns dann viel v. d. Einrichtung des Pariser Findelhauses. Zuerst v. d. schönen Inschrift über der Thüre: Vater u. Mutter verlassen mich, aber der Herr hat sich über mich erbarmet! wo bei er ganz gerührt war. Dann wie die Kinder ins Haus gebracht werden, wie die einen Ammen erhalten u. später zu Ammen aufs Land gegeben werden, u. wie Alles so gut besorgt sei, um man für die Ausbildung der Kinder sorge; Die einen von ihnen werden auf die Drehscheibe gelegt, die andern kommen aus dem Gebärhaus in einem grossen Kasten mit 12. kleinen Abtheilungen. dann macht man jedem sein Zeichen fest, das nichts verwechselt werden kann. Er habe gedacht, das könne uns intressieren. Wir dankten ihm für seine Aufmerksamkeit, er will mir wirklich immer Freude machte.
Bald kamen dann die Kinder u. (wache noch Arme-unkar). Ach wie will ich mir Mühe geben über das Fest, wohl zu thun wo ich kann. Segne Du mein Heiland, meine schwachen Kräfte. Leider konnte ich nichts essen, da ich zu müde war ruhte dann aber Nachmitgs gut aus u. konnte Gottlob Abends mit d. Kindern noch das Klürenspiel machen bis sie um 7 Uhr heim gingen. O wie dankbar war ich dafür! (…)
Hier erfahren wir, dass Dein Vater Martin Escher-Hess (1788-1870) offenbar nicht mehr gut hörte. Kein Wunder, dieses Schicksal ereilt auch heute noch so manchen Senioren. Doch gab es damals keine Hörgeräte.
Professor Locher spricht wohl von seiner Tochter Amalie (1830-1913), die mit Felix Robert von Muralt verheiratet ist.
Wie öfters, wenn Herr Professor zu Besuch war, schreibst Du darüber in Deinem Tagebuch. Es ist nicht untypisch, dass diese Besuche und insbesondere, was Herr Professor Dir erzählt, detailliert geschildert wird. An diesem Tag ist es die Beschreibung eines Findelhauses in Paris, über das Herr Professor Bescheid weiss. Die Drehscheibe ist wohl nichts anderes als die heutige Babyklappe. Zumindest etwas, was sich seit Deine Zeit nicht verändert hat. Auch wenn diese sicher weniger oft gebraucht wird.
Das beschriebene Findelhaus könnte eine frühe Inspiration gewesen sein für das “Spitääli”, dass Du später selbst gründen wirst. Ein Spital für Kinder aus ärmeren Verhältnissen (Verweis folgt).
Das Wort “Klürenspiel” ist mir noch aufgefallen: Du schreibst sonst schönes Hochdeutsch, sehr ähnlich, wie es heute noch geschrieben wird. Aber zwischendurch kommen Schweizer Dialektausdrücke vor, die zu erkennen geben, dass diese vielleicht aus Deiner gesprochenen Sprache geliehen wurden, nebst dem Klürenspiel stiessen wir etwa auf das Wort “Gstürm” oder “trümmlig”.