29. Januar 1858

Am Morgen war ich ziemlich früh, las und betete vor Allem, u. hatte nachher allerlei zu thun. Zum Arbeiten kam ich nicht so viel, da ich um 12 Uhr zu Elise ging, wo aber Betheli im Bett lag, und nicht z. Cecile kommt. Ich hatte mich sehr auf dieses Essen gefreut, u. mir vorgenommen, ihr Alles über F. M. zu erzählen. Kaum hatte ich aber davon angefangen, als sie sagte, sie wisse auch etwas von ihm, das aber nicht mich angehe. Plözlich erschrekend, zwang ich sie dann eigentlich es mir zu sagen, u. siehe da sie wußte daß er jetzt Anna May den Hof machte. Im Anfang konnte u. wollte ich es gar nicht glauben, diese rührenden Briefe, diese lange Treue u. jetzt sollte er mich ganz vergessen haben. Gewiß ist es nur eine Idee v. Frau May, es scheint mir ganz unmöglich. An so etwas wäre mir wirklich kein Gedanke gekommen. Ich stellte mir oft meinen Schmerz vor, wenn er sterben müsse, hoffte dann aber desto gewisser im Himmel mit ihm vereinigt zu werden, wo wäre nun mein Ideal hingekommen, wenn dieß wahr ist! das Essen verging mir ziemlich traurig, und ich fühlte auch bei diesem Anlaß, daß Cecile eigentlich troz allem guten Willen keine recht beruhigende Trösterinn sein kann, da sie im eignen Herzen noch keine rechte Ruhe hat. Wir machten dann zusammen einen Spaziergang bis zum Neumünster und nachher ging ich heim, las und stickte bis Mama zurück kam, u. verbrachte dann den Abend mit ihr allein. Ich wußte zuerst nicht, ob ich etwas sagen solle oder nicht, that es dann aber doch. Es reute mich jedoch fast, da mir Thränen kamen und Mama dieses nicht leiden kann und böse wurde. Sie glaubt immer, es sei gewiß nicht wahr, und suchte mich damit zu trösten. Ich traue jezt aber doch nicht mehr und ging mit bangem kummervollem Herzen zu Bette, wo mich die ganze Nacht recht traurige Gedanken plagten. Ach wie unzuverlässig sind alle Menschen, wer doch den Herrn zum Freunde hätte!

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28. Januar 1858

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30. Januar 1858