30. Mai-4. Juni 1863

30. Mai 1863 (…) Die Milch bekam ich erst nach 7 Uhr, u. dazu gab es soviel im Haus für Babeli zu besorgen dass es mir am Ende ganz wirr wurde u. ich anstatt Gott um Hülfe u. Stille anzurufen, Nachts noch einen hässlichen Ausbruch machte der die liebe Mama tief betrübte, so dass sie mir Nachs im Bette noch recht ordentlich zusprechen mußte. Ach ich fühle es wohl, wie schlecht ich bin, u. wie mein Herz steinern u. verschlossen ist. Aber doch kann mir Neimand helfen, als der treue Heiland allein. Doch dann kann ich ihn gerade nicht anrufen, wenn es am Nöthigsten wäre. (…)

1. Juni 1863 (…) Abends hätte ich auf Hr. Prof. Geheiß ein Butterbrod essen sollen, u. Alles dazu bereit gemacht. Papa wurde aber über eine Bemerkung v. Mama sehr böse, u. das nahm mir dann allen Appetit und machte mich recht traurig. (…)

4. Juni 1863 (…) Papa verreiste am Morgen zieimlich Früh (nach Wien), und nahm nur kurzen Abschied v. mir. Ich blieb auch so kalt und ungerührt, obschon ich ja weiß wie lieb er mich hat, wenn er es auch nicht sagt. Aber ich konnte ihm gar so wenig Freude machen. O mein Gott, bringe Du ihn uns wieder glücklich zurück. Frau Schultheß-Meiß schickte ich z. Namenstag ein Krägli u. Manschete Als ich dann am Morgen hinunterkam, war mir sehr bang und unbehaglich, und ich fürchtete der Tag könnte ganz gefehlt sein da mir gar so traurig zu Muth war. Nanny kam schon v. Bahnhof für den ganzen Tag, ich hatte aber den Morgen durch im Hause zu thun, aß dann ein wenig Sulz mit ihnen u. besorgte die Hühner. Ach, wie so traurig bin ich, wie drücken mich meine Sünden, u. die Furcht, daß Gott mich verlassen habe Nachmittags saßten wir dann Alle im Garten, man trank früh Thee, und Mama fuhr noch um 6 Uhr in die Eierbrecht. Jch hatte nicht mit mögen, und ein weing auszuruhen, und benützte dann auch die Zeit, um stille in meinem Zimmen zu sein, wo ich versuchte einmal ein Butterbrod zu essen wie es Hr. Professor schon lange wünschte. Es ging ordentlich damit! Nachts saßen wir dann allein beisammen. Jch aß noch ein wenig Bord. (…)


Zwischendurch gibt es immer wieder einen Hoffnungsschimmer, wenn es Dir gelingt, etwas zu essen.

In der Eierbrecht wohnt Nanny mit ihrem Mann. Ein Foto der Stube aus dieser Zeit ist überliefert. Links und rechts vom Spiegel lassen sich knapp die Portraits Eurer Eltern erkennen. Auf dem Tisch steht ein bearbeitetes Foto von Hans Stockar-Escher, das seinerseits auch erhalten ist (beide Fotos im Staatsarchiv de Kantons Zürich).

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22. Mai 1863

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10./11. Juni 1863