12. Juni 1861
(...) H. Prof. kam um 1/2 12 Uhr u. blieb bis 12 Uhr u. war heute sehr gut, wie um sich für gestern zu entschuldigen. Er fragte mich zuerst genau Alles, sagte dann es sei ihm gestern unterwegs in d. Sinn gekommen daß das Salz nicht auf der Stelle wirken müsse, und verordnete mir nichts Neues. Mama fragte ihn wegen dem Gurnigelwasser, wovon er aber nichts hören will. Es nützte nicht, sonst würde er ja gern Einschläge annehmen, die ihm ja oft entfallen könnten. Dieses Wasser sei hauptsächlich gegen die Würmer u. bei diesem Anlaß sagte er, für Würmer sei nichts besser, als eine Hungerkur, wie ich sie gemacht. Würmer hielten sich bei keinem Kranken u. auch bei keiner Leiche auf. Jch sagte dann, so sei meine Krankheit doch zu etwas gut gewesen, und gewiß noch zu Vielem; er konnte aber den Nutzen nicht recht einsehen. Gewiß ich habe jetzt erfahren, daß ich nicht unentbehrlich bin, wie ich früher oft gern glaubte, u. meine Hülflosigkeit hat mich demühtiger gemacht. Er glaubt aber, das sehe jeder ein beim älter werden, aber es sei wunderbar, wie die fehler der einzelnen Menschen sich aufs Alter eher verstärken. Er kenne Leute, von denen er sich oft fragen müsse: Sind das noch die Nämlichen wie früher. Während die Herrn eher kindisch würden, sei es bei Frauen eher d. Fall, daß sie hässig werden, besonders solche die lange ganz unabhängig gelebt, Witwen, Kinderlose, oder alte Jungfern. Jhm sei nichts so widerlich als eine unweibliche Frau, und dies sei bei den Meisten Herrn so, nur nichts so männliches. Aber wie schwer ists hier die rechte Straße zu treffen! Mir ist oft auch Angst davor, da muß eben der Herr den Weg zeigen! er sagte dann, er könne doch gewiß viele Beobachtungen machen, bei seinen vielen Patienten, und er sagte ganz ernst! Ja, sie können mir glauben, es braucht oft viel Geduld. Wenn ich glaube, die Leute auf einem guten Punkt zu haben, so erhalte ich dann oft plözlich solche Antworten, daß ich mich mir verwundern muss. Jch dankte ihm für seine Geduld mit mir, und er sagte, hier sei Ausdauer nöthig gewesen nicht Geduld. Jch hoffe aber gerade die Geduld, die er und die liebe Mama mir beigemesen, werde mich in Zukunft auch geduldiger machen gegen Andre, denn ich sei viel hastiger u. leidenschaftlicher als er nicht glaube. Auch Mama gab ihre Meinung darüber, war aber dann nachher ganz betrübt u. glaubte, er habe auf sie geredet. Wer könnte aber aufopfernder sein als sie. O mein Gott, lohne Du ihr dafür, u. gib, daß ich es mein Leben lang nicht mehr vergessen Um 17 Uhr ging er fort (…)