6. März 1858

Am Morgen war ich ziemlich früh u. bat zuerst Gott um Seinen Segen für den heutigen Tag, da ich vor dem Essen zu der lieb. J. Escher im Felsenhof darf. Ich hatte dann auf Morgen vielerlei zu thun, u. kann erst gegen 1/2 12 Uhr fort. Die Liebe J. Escher war sehr freundlich, sie sieht etwas bleich aus u. hat Husten. Sie fing dann gleich an wegen dem Verein, ob ich eigentlich kommen wolle oder nicht, sie habe sich wohl gedacht, es sei etwas mit mir, u. hätte mich gern einmal gefragt. Ich sagte ihr dann Alles, was mich in der letzten Zeit so bemüht hat, u. sie war so gut u. theilnehmend gegen mich. Sie erzählte mir viel aus ihrem eigenen Leben, von ihren Erfahrungen die sie gemacht, und die oft auch recht schmerzhaft gewesen seien. Was Anna May anbetreffe, so billige sie dieses Verfahren gar nicht, sie habe natürlich nie etwas von mir gesagt, aber ich solle nur denken schon ehe F. M. krank gewesen sei, sei von einer Jnklination für Anna die Rede gewesen. Sie hätte natürlich oft gern einmal etwas gesagt, habe es aber doch nicht thun wollen. Daß für mich das Gefühl ihn Bodt u. treu z. wissen jedenfalls viel angenehmer gewesen, das begreife sie wohl, sie hätte es auch so, aber ich müsse eben lernen die Menschen lieb haben um des Herrn Willen, und nicht um ihrer eigenen Vorzügen. Sie sagte mir dann, daß gerade dieses Alles, das aller unangenehmste sei. Das Gefühl allein zu sein drücke da am meisten, u. Man habe am Meisten das Bedürfniß Jemand lieb zu haben. Man könne aber gar nichts erzwingen, sondern müsse sich nur mit allen seinen Sünden dem Herrn hingeben. Er könne ja aus uns machen, was Er wolle. Ich schämte mich sehr meiner Thränen, sie war aber so gut und freundlich, daß ich es nicht sagen kann. Da es schon 12 Uhr war nahm sie mich in ihr Zimmer, u. troz meiner verweinten Augen mußte ich dann Herrn Escher begrüßen, als er kam. Nachher nahm sie mich noch in ihr liebes Zimmer u. ich durfte noch ziemlich lang bei ihr bleiben. Sie sagte mir, ob ich nicht wie Betsy ihr Mathilde sagen könnte, u. ich würde es so gern thun! Ich sagte ihr bei diesem Anlaß, ich hätte so oft gewünscht, sie möchte meine Tante sein. Sie sagte mir nachher noch viel v. Hr. Mays, wie sie so wenig Vertrauen zu ihr hätten, auch bei diesem Anlaß. Sie könne es natürlich nicht billigen, aber Anna hange so sehr an ihrem Vater, daß sein Wunsch ihr Gesetz sei. Noch vieles andere redeten wir, u. sie sprach mir dann sehr zu, mich doch nicht entmutigen u. verbittern zu lassen, sondern mich recht zusammen zu nehmen. Wenn ich auch gerade jetzt nicht Lußt habe in den Verein zu kommen, so sei es doch besser ich überwinde mich, nach u. nach werde es mich dann schon freuen. Ich versprach ihr dann am Freitag zu kommen, u. darf ein wenig früher gehn, als die andern. Nachdem sie mir dann noch den Segen Gottes gewünscht, u. ihre Hände auf mein heißes Gesicht gelegt, küßte sie mich herzlich u. sagte so oft es mir wieder schwer u. bang sei, solle ich nur zu ihr kommen. Ich bereute dann sehr, so vieles nicht gesagt zu haben, aber wenn ich bei ihr bin fühle ich mich immer so geborgen u. sicher, daß mir dann scheint, als mangle mir nichts. So oft ich dann aber wieder fort bin, hätte ich so gern noch vieles gesagt. (...)

(Ein Brief von Cecile von Erlach) (Er) ist sehr intressant, u. machte mir große Freude, Cecile ladet mich ein, mich einmal z. besuchen, u. erzählt mir viel von ihrem Lande u. Leben. 

Zurück
Zurück

4. März 1858

Weiter
Weiter

10. März 1858