19. Januar 1864

 Leider war ich am Morgen wieder sehr müde u. um mich zu ermuntern, fing ich an Verse aus meinen Liederbüchern zu suchen! was mich dann so beschäftigte, daß ich Beten u. Lesen ganz darüber versäumte, u. dann richtig anstatt, dem gehofften glücklichen Tag einen recht traurigen, schlimmen hatte. Als ich nämlich auf war, wollte Mama noch einen Ankenhafen leeren, was mich sehr versäumte, so daß ich dann noch gar nicht angezogen war, als schon Frau Fehlmann kam. Jch mußte sie natürlich warten lassen, u. hatte sie dann kaum in mein Zimmer genommen, als Hr. Cloetta kam. Jch bat sie nochmals zu warten, u. ging zu ihm. Bald kam dann auch Mama, von mir wurde nicht viel geredet, v. Hr. Professor sagte er, es sei wenigstens nicht schlimmer, doch fühle er selbst noch keine Fortschritte. Dann fragte Mama nach Marie Bürkli u. ich hätte gern d. Anlaß benutzt, um hinauszugehen, war aber nicht gewandt genug. Als er dann endlich fort ging, blieb Frau Fehlmann noch lange bei mir, u. als ich ermüdet zu Tische kam, war Mama so böse, daß mir aller Appetit verging u. ich gar nicht essen konnte. Jch ging bald in mein Zimmer zurück, wo ich aber immer trauriger war. Und den Tag, auf d. ich mich so gefreut hatte, u. Mama Aufträge geben wollte. Ich konnte mich nun zu gar nichts entschließen, da ich dachte sie könnte es tadeln u. überhaupt ganz aus dem Gleise war, verbrachte aber meinen Tag recht trübe. Frau Escher im Brunnen kam, u. nachher Hr. Schultheß im Reichberg, aber auch da muß ich mich nur anklagen, daß ich ihm so oft widerspreche, und so wenig Lust und Antrieb z. Gebete habe. O mein Gott, mein Gott. Laß mich nicht über Vermögen versucht werden! Ach hilf Du mir kämpfen, erfahre Du mein Herz und bereite es auf Deine Weise! Als dann Mama Abends heim kam, brachte sie mir einen Gruß v. Hr. Professor, den sie gesehen hat. Aber in meiner traurigen Laune verstimmte mich auch das, daß ich nun immer noch nicht zu ihm darf, u. ihn doch so herzlich lieb hätte. Ich war recht böse u. unartig den Abend durch. So gern ich etwas v. Hr. Professor gehört hätte, konnte ich mich doch nicht überwinden, Mama zu fragen, sondern machte mir nur alle möglichen trüben Gedanken vom Verlassen sein, u. s. f. Jch ging dann auch schon bei Zeiten recht traurig zu Bette und wurde noch viel trauriger, als ich hörte, wie die liebe, gute Mama bei Papa sich über mich beklagen mußte, und über meine Selbstsucht. Umso trauriger ich bin, je böser werde ich! O mein treuer, guter Heiland ach verwirf Du Dein armes hülfloses Kind nicht!

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17./18. Januar 1864

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23. Januar 1864